Die Verbreitung von Halbwissen ist ein gefährliches Phänomen unserer Zeit, die sich immer schneller bewegt. Die Lösung diesem Problem zu begegnen könnte ein Sabbatical sein, um in dieser Zeit gehaltvoll zu schweigen.
Die EU-Taxonomie ist ein komplexes Konstrukt und verlangt hohen Zeitaufwand für jene, die sich damit beschäftigen wollen. In genau dieser Komplexität verortet der Gründer des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation Rudolf J. Melzer ein großes Problem in der Berichterstattung und letztlich in der Information, die bei den Konsumenten ankommt: „Wenn sich schon Experten wöchentlich auf den neuesten Stand der EU-Verordnung bringen müssen, um die Komplexität des Themas erfassen zu können, wie sollen das Journalisten schaffen, die dafür im Tagesgeschäft absolut keine Zeit haben?“ so Melzer. „Bestehe hier nicht die Gefahr gefährlichen Halbwissens, das an die Medienkonsumenten weitergegeben wird?“.
Komplexität und Halbwissen
Das Zunehmen von Halbwissen, ist unserer begrenzten Gehirnkapazität geschuldet, die die gleichzeitig ansteigende Komplexität der Wirklichkeit gar nicht mehr bewältigen kann. Wir können daher fast gar nicht mehr anders als unzureichendes Wissen mitzuteilen, wenn wir weiterhin miteinander kommunizieren wollen. Das Mooresche Gesetz beschreibt, dass sich die Komplexität in Bezug auf Schaltkreise zumindest alle zwei Jahre regelmäßig verdoppelt. Ein halbes Jahrhundert nach Gordon Moores Beobachtung konnte man feststellen, dass die Vorhersagen im IT-Bereich ziemlich gut zutrafen. Aber auch in anderen Lebensbereichen schreitet die Komplexität in ähnlichem Tempo voran. Von der Pferdekutsche bis zum Selbstfahrenden Auto liegt eine Entwicklung von nur ein wenig über 100 Jahren. Während die Mechanik der Pferdekutsche wohl von den meisten Nutzern und Kutscher zur damaligen Zeit verstanden wurde, ist die Technologie der heutigen Autos für die meisten Fahrzeughalter zum Mysterium oder zu einem Wunder geworden. Eine Studie des Max-Planck-Instituts in München und der ETH Zürich, kam zum Ergebnis, dass sich der Wissenschaftliche Output heute alle neun Jahre verdoppelt. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts kam es alle 150 Jahre zu einer Verdopplung. Wenn dieses Ergebnis gleichzeitig bedeuten würde, dass sich unser individuelles Wissen entsprechend auch verhält, wir also immer schlauer werden, und Informationen in immer schnellerer Geschwindigkeit verarbeiten könnten, wäre alles ganz wunderbar. Leider ist dem nicht so. Wir sind eben nicht doppelt so intelligent wie vor neun Jahren. Und weil die Kluft zwischen unserer Gehirnkapazität und der Komplexität der Welt immer größer wird, müssen wir diese Komplexität, um sie zu beherrschen, reduzieren.
Nur wer wesentlich schweigen kann, kann wesentlich reden
Die Komplexität der Wirklichkeit verlangt von uns Demut, die in der höchsten Form zur Erkenntnis „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, reift. Würde man aber stets darauf achten nur ja keinen Blödsinn zu verzapfen, dann wäre es bald ziemlich leise auf der Welt. Wir würden uns wieder die langweiligen Dampfplauderer zurückwünschen, die uns mit Stolz die Welt erklärten. Wir suchen eben nicht nur nach Erkenntnis, sondern wir wollen uns auch anderen mitteilen, manchmal auch einfach nur unterhalten werden und vielleicht am wichtigsten von allen: Wir haben ein Verlangen nach Geltung. Deswegen reden und schreiben wir auf Twitter und Co., hauptsächlich unausgegorenes Zeug, weil wir schnellen Beifall wollen und nicht die Geduld haben uns zuerst mit dem betreffenden Problem wirklich zu beschäftigen. Ja, es stimmt uns fehlt die Zeit, wie Melzer erklärt, aber nur weil wir sie uns nicht nehmen. Wir nehmen uns keine Zeit mehr zu schweigen und dabei zu reflektieren und zu studieren, um uns der Erkenntnis zu widmen. „Nur wer wesentlich schweigen kann, kann wesentlich reden“, fasst Sören Kierkegaard die Problematik zusammen. Es gibt also ein gehaltvolles Schweigen, das fähig ist Erkenntnis zu gewinnen, ja das sogar notwendig ist, um Erkenntnis zu gewinnen, aber auch das Gegenteil. Ich erinnere mich an eine Erzählung, die von einem enigmatischen Schweiger erzählt, der es verstand gekonnt zu schweigen. Alle schätzten ihn als guten Zuhörer und sahen sein Schweigen als ein Zeichen der Überlegenheit. Es schien als hätte diese mysteriöse Person die Erkenntnis verinnerlicht. Er war nicht angreifbar und wirkte für die Anwesenden weise. Bis zu jenem Zeitpunkt als er seinen Mund öffnete und selbst begann zu reden. Alle merkten, wie dumm und einfältig die Person war. Und danach meinten alle: „Schade, dass sie geredet hat“.
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