Dipl.-Oek. Sven Rabe, Vorstandsvorsitzender der VAV Versicherung, im Gespräch mit risControl (Titelinterview März Ausgabe) über Pläne, digitale Entwicklungen und vieles mehr.
risControl: Die Welt hat sich in den letzten drei Jahren massiv verändert: Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Lieferkettenproblematik – welche Auswirkungen hat das aktuell auf die Versicherungswirtschaft und welche Veränderungen sehen Sie in den nächsten Jahren?
Rabe: Die Welt hat sich verändert, besonders die Erwartungen der Menschen. Nach der Corona-Krise war die Hoffnung auf einen Wirtschaftsaufschwung zu verspüren. Durch den Angriff von Russland auf die Ukraine war der positive Aufschwung nicht mehr vorhanden, das Ereignis hat alle Erwartungen verworfen. Die damit einhergehenden wirtschaftlichen Verwerfungen werden uns noch lange beschäftigen.
Energiepreise, generelle Preisentwicklungen, aber auch die Zinsanstiege führen dazu, dass das Einkommen der Menschen, das für Versicherungen zur Verfügung steht, immer weniger wird. Es stellt sich damit auch die Frage, an welcher Position der Prioritätenliste eine Versicherung steht. Das ist das Thema, dem wir uns stellen müssen. Wir merken sehr wohl, dass bereits jetzt oft überlegt wird, ob es eine Vollkaskoversicherung für das Auto braucht oder ob eine Teilkaskoversicherung reicht. Im privaten Bereich sind die wirtschaftlichen Engpässe schon angekommen, im Firmenbereich werden die Auswirkungen erst im Laufe des Jahres bemerkbar werden.
Besonders in der Bauwirtschaft sehen wir eine starke Eintrübung. Projekte, die für 2023 und 2024 geplant wurden, werden oft nicht mehr umgesetzt. Vieles ist einfach nicht mehr leistbar. Gestiegene Bau- und Rohstoffpreise sowie Baukosten plus schlechte Finanzierungsbedingungen führen zu weniger Bauaktivitäten. Damit stagniert auch die Neuversicherung von Immobilien. Im Jahr 2022 gab es in Österreich noch ein Wirtschaftswachstum von knapp fünf Prozent, für heuer wird mit einer Stagnation auf einem niedrigen Niveau gerechnet, und was 2024 sein wird, das weiß noch niemand. Dennoch bin ich zuversichtlich, was die wirtschaftlichen Entwicklungen der nächsten Jahre betrifft, manches bereinigt sich oft schneller, als erwartet.
Die steigende Inflation betrifft die Versicherungsindustrie besonders im Bereich der Schadenreglierung, das Ausmaß liegt hier sicher auch höher als die Verbraucherpreisinflation.
Wie wird sich die steigende Inflation auf die Versicherungsprämien auswirken?
Rabe: Man muss die Wirkung der steigenden Inflation bei den Versicherungsprämien anders betrachten. Bei indexierten Bestandsverträgen werden zwar die Prämien im Maße des steigenden Indexes teurer, jedoch steigen durch die Indexierung auch die Versicherungssummen. Die Indexierung ist zur Gewinnmaximierung der Versicherung gedacht, sondern es ist ein Schutz gegen die Unterversicherung des Versicherungsnehmers. Ohne die Indexierung wären insbesondere im letzten Jahr viele Verträge unterversichert gewesen, weshalb viele Versicherungsnehmer durch die rasant steigenden Preise bei etwaigen Schäden auf der Strecke geblieben wären.
Das größte Thema, welches die Versicherungsindustrie in den nächsten Jahren beschäftigen wird, sehe ich im Bereich der Naturkatastrophenereignisse. Die Frequenzen steigen, und Modellrechnungen, die nicht nur uns, sondern auch Rückversicherer, die Aufsicht und Ratingagenturen beschäftigen, zeigen, dass es zu höheren Ausschlägen kommen wird. Bei den Rückversicherern ist eine Tendenz am Markt zu erkennen, die vom Rückzug aus dem Natkat-Markt bis hin zu massiven Erhöhungen der Prämien reicht.
Was bedeutet das für die Versicherungsnehmer?
Kurzfristig werden die Prämien einmal teurer, mittelfristig könnte es zu amerikanischen Verhältnissen kommen. In Florida oder Kalifornien gibt es privat organisierten Versicherungsschutz nur mehr bei staatlich gedecktem Rückversicherungsschutz. Der ist im Zweifel teuer und nicht effizient. Wir sehen bereits Märkte, wo sich Rückversicherer aus dem Bereich der Naturkatastrophenabsicherung zurückziehen. Dann können Erstversicherer auch keine Versicherungslösungen mehr anbieten.
Es ist an der Zeit, sich der Diskussion des Naturkatastrophenschutzes zu stellen, es wird ein solidarisches Modell notwendig sein. Es muss auch ein Umdenken in der Bevölkerung stattfinden, die Rahmenbedingungen der Versicherungsmöglichkeiten bei extremen Wetterereignissen mit hohen Einzelschäden müssen überdacht werden. Man kann nicht alles über den Preis abdecken, es muss das Thema Selbstbehalt in den Vordergrund treten. Denn nicht nur die Schadenserledigung durch Professionisten wird viel teurer, sondern beispielsweise auch die Ausstattung von Gärten wird immer hochwertiger und damit teurer in der Wiederbeschaffung: Griller, Gartenmöbel und Trampoline sind oft Opfer eines Sturmes und die Beschaffung ist teuer. Es wird in Zukunft eine Kombination aus erhöhtem Selbstbehalt, Ausschlüssen und höheren Prämien geben müssen.
Eine Grenze der Versicherbarkeit?
Versicherbar ist alles, solange das Risiko versicherungsmathematisch berechenbar ist. Die wichtige Frage dabei: Ist man bereit, den Preis dafür zu bezahlen. Man kann viel mit Selbstbehalten beeinflussen, denn der Großteil der Schäden bewegt sich im dreistelligen Euro-Bereich und ist damit nicht existenzgefährdend. Im Umkehrschluss sind genau diese Schäden aber für einen Großteil der Durchschnittsprämie verantwortlich. Wir bilden seit vielen Jahren in unseren Tarifen die Selbstbehaltsstaffeln ab, und diese werden – dank der guten Beratung durch unserer Vertriebspartner -von den Kunden auch bereits gut angenommen.
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