Christophe Nagy (c)Comgest
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Die Furcht vor Kreditausfällen

Christophe Nagy, Portfoliomanager Comgest

Im US-Bankensektor ist die Furcht vor Kreditausfällen im Zuge der kürzlich stark gestiegenen Zinsen präsenter denn je. Durch den sprunghaften Anstieg der Fremdkapitalkosten sowie die plötzlich gestiegene Risikoaversion der Anleger können viele Unternehmen ihre Investitionen und ambitionierten Wachstumspläne nicht mehr finanzieren. Christophe Nagy, Portfoliomanager für US-Aktien bei der Fondsboutique Comgest, erläutert, inwieweit sich die Aktienmärkte derzeit an einem Scheideweg befinden.

In US-Aktien waren im April noch netto 34 Prozent der Investoren untergewichtet. Im März hatten sogar 44 Prozent der Investoren weniger US-Aktien gehalten als üblich und damit so viele wie zuletzt vor fast zwei Jahrzehnten. Das ist ein Ergebnis der monatlichen Umfrage der Bank of America (BofA) bei mehr als 200 institutionellen Investoren, Vermögensverwaltern, Banken und Hedgefonds. Auslöser für diese Skepsis ist vor allem die aktuelle Bankenkrise. Die Furcht vor Kreditausfällen im US-Bankensektor ist im Zuge der kürzlich stark gestiegenen Zinsen präsenter denn je. In den vergangenen zwei Jahrzehnten war dies kein Thema: Kapitalkosten gab es dank der Niedrigzinspolitik nicht und Unternehmen mussten sich keine Gedanken über Finanzierungsbedingungen machen. Bei extrem niedrigen Zinssätzen war es für viele Unternehmen verlockend, Schulden aufzunehmen, auch um die Eigenkapitalrendite zu erhöhen. Niedrig verzinste Nettobarmittel in der Bilanz wurden als Belastung angesehen. Die optimale Kapitalstruktur eines Unternehmens schien aus einem Maximum an Schulden und einem Minimum an Eigenkapital sowie Nettoliquidität zu bestehen.

Härtere Rückschläge als erwartet

Nun haben sich die Rahmenbedingungen geändert. „Erst wenn die Ebbe kommt, weiß man, wer nackt geschwommen ist“, witzelt Warren Buffett gerne. „Die Aktienmärkte befinden sich derzeit an einem Scheideweg, denn nach unserer Analyse könnten die rapide steigenden Kapitalkosten auf Jahre hinaus die Spreu vom Weizen trennen. Betrachtet man Wachstumsaktien, könnte diese Entwicklung in Anbetracht der unterschiedlichen Reaktionen auf den Zinsanstieg bereits begonnen haben“, ist Nagy überzeugt. Viele Wachstumsunternehmen in ihrer frühen Entwicklungsphase, von denen es in innovativen und jungen Branchen wie Technologie, Internet und Biotechnologie nur so wimmelt, sind regelrecht eingebrochen. So spannend sie als Anlagen auch sind, schreiben sie doch häufig rote Zahlen. Nagy ergänzt: „Für langfristig orientierte Wachstumsanleger wie uns lautet die wichtigste Überlegung daher: Welches Wachstum kann angesichts der erheblich gestiegenen Finanzierungskosten erwartet werden? Tatsächlich könnte der Qualitätsunterschied zu länger anhaltenden und schwereren Rückschlägen bei Wachstumsanlagen mit niedrigerer Qualität führen, als es Anleger derzeit vermuten.“

Frühphase als Bewährungsprobe

Heute verlangen Anleger eine Risikoprämie für risikoreichere Investitionen in junge Unternehmen. Das bietet für Stock-Picker durchaus Chancen. Unternehmen, die über gewinnbringende und zukunftsfähige Geschäftsmodelle verfügen, sich innenfinanzieren und über solide Bilanzen verfügen, sind im aktuellen Umfeld besonders chancenreich und lassen sich mit einem aktiven Investmentansatz finden. Natürlich leiden auch diese Unternehmen derzeit unter einer Bewertungskorrektur, jedoch müssen sie ihre Wachstumspläne nicht den steigenden Kapitalkosten opfern. „Auf der „S-Kurve“ des Qualitätswachstums, die den Lebenszyklus eines Unternehmens beschreibt, investieren wir üblicherweise nach der Phase des Hyperwachstums. Also ab dem Punkt, an dem wir von starkem, nachhaltigem und selbst finanziertem Wachstum profitieren können. Bei Wachstumsunternehmen in der Frühphase, etwa als sogenannte „Shooting Stars“, hingegen wird geschätzt, dass sie in den nächsten zwölf Monaten fast zehn Prozent ihres Umsatzes einsetzen müssen, um eine Unterdeckung aus dem laufenden Geschäftsbetrieb zu finanzieren“, erläutert der Portfoliomanager.

Oracle und Microsoft: Zukunftsfähigkeit sichern

Oracle ist ein Beispiel für ein Unternehmen, das aus eigener Kraft herauswachsen kann, und eines der Top-Holdings im Portfolio „Comgest Growth America“. Das Unternehmen ist sehr erfolgreich darin, sein Geschäftsmodell zu diversifizieren. So bietet es immer mehr Anwendungen an, die auf das existierende Enterprise Resource Planning System (ERP), also einem Steuerungstool für die täglichen Geschäftsprozesse, aufsetzen. Durch die Verlagerung des Systems in die Cloud setzt sich das Unternehmen in neuen Ausschreibungen zunehmend gegen Wettbewerber wie SAP und AWS durch. Nicht zuletzt demonstrierte Oracle, dass es durchaus möglich ist, auch im hart umkämpften Markt für Cloud-Computing Marktanteile zu gewinnen: Mit Wachstumsraten von derzeit rund 30 Prozent beläuft sich der Marktanteil mittlerweile auf circa fünf Prozent. Obwohl Oracle ein etablierter Anbieter ist und damit Anlegern mit großen Wachstumsfantasien nicht sofort ins Auge sticht, hat es das Unternehmen durch die geschickte Erweiterung seiner Dienstleistungspalette geschafft, sein Gewinnwachstum auf zweistellige Raten zu steigern. Durch die Gebührenstruktur über einmalige Lizenzkäufe und fortlaufende Maintenance-Zahlungen sichert sich der ERP-Anbieter wiederkehrende Einnahmen und bindet seine Kunden langfristig an sich.

Ein weiteres Beispiel ist Microsoft. Der Konzern konnte innenfinanziert milliardenschwere Investitionen in Künstliche Intelligenz (KI) tätigen – eine Investition, die der Zukunftsfähigkeit zugutekommt. Dank der Zusammenarbeit mit OpenAI, dem Entwickler von ChatGPT, steht Microsoft nun an der Spitze der Revolution der generativen KI. Zu Jahresbeginn hat Microsoft diese Spitzentechnologie auf seinen verschiedenen Plattformen eingeführt, darunter seine Suchmaschine (Bing AI), die Software Microsoft 365 (Copilot) und die Azure Cloud Services (Azure OpenAI Service). Es wird erwartet, dass diese neuen Dienste den Kunden erhebliche Produktivitätsvorteile bieten werden.

„Das Rückgrat unserer Portfolios sind etablierte Unternehmen, die seit Jahren stabil sowie profitabel sind, einen hohen freien Cashflow generieren und über große Cash-Reserven verfügen. Nach unserer Überzeugung sind sie bestens gewappnet, um ihren stetigen Wachstumspfad trotz explodierender Kapitalkosten fortführen zu können – und das macht im aktuellen Marktumfeld den entscheidenden Unterschied“, so Nagy abschließend.

 

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