Mag. Martin Pichler ; Mag. Philip Windischer ©Anna Stöcher
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Die Retail Investment Strategy – auf Kurs in Richtung Planwirtschaft?

Mag. Martin Pichler Rechtsanwalt und Partner, Mag. Philip Windischer Rechtsanwaltsanwärter der AKELA RechtsanwältInnen GmbH.

Und täglich grüßt das Murmeltier! Es ist wieder so weit – eine Initiative der EU-Kommission (die sogenannte Retail Investment Strategy, kurz „RIS“) soll wieder den Anlegerschutz stärken. Wieder sollen die Vorschriften für den Vertrieb strenger werden. Wieder soll es zu neuen Regelungen betreffend Interessenkonflikte kommen. Die Tatsache, dass die Finanzdienstleistungsbranche zu den am strengsten regulierten Branchen gehört und in den letzten Jahren ohnedies bereits laufend die regulatorischen „Daumenschrauben“ angezogen wurden, hindert die EU-Kommission nicht daran, weiter hochfrequentiert strengere Vorschriften vorzuschlagen. Zusätzlich zu den bereits bekannten Stoßrichtungen sollen die europäischen Aufsichtsbehörden nun defacto auch die Preisfindung für Fonds und Versicherungsanlageprodukte übernehmen. Die von der EU‑Kommission verfolgte Strategie scheint insbesondere auf Kosten eines freien Marktes zu gehen, der Kurs erinnert eher an planwirtschaftliche Ansätze. Eine besonders harte Kritik wurde am geplanten partiellen Provisionsverbot geäußert. Darüber hinaus enthält der Kommissionsvorschlag zahlreiche weitere brisante Neuerungen. Diese reichen von Umstrukturierungen des Beratungsprozesses („Best Interest-Test“) über Verschärfungen der Product Governance („Value for money“-Modell) bis hin zu erweiterten Kostenoffenlegungspflichten und Vorgaben für Marketingmitteilungen.

  1. Wie weit reicht das partielle Provisionsverbot?  

Das Wichtigste vorweg – in der RIS ist aktuell kein generelles Provisionsverbot für den Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten und Finanzinstrumenten vorgesehen. So dürfen für Beratungsleistungen zu Versicherungsanlage- und Wertpapierprodukten weiterhin Provisionen vereinnahmt werden. Partielle Provisionsverbote werden hingegen für beratungsfreie Dienstleistungen eingeführt. Sollte der Kommissionsentwurf in der vorliegenden Form in Kraft treten, dürfen im Bereich der MiFID II für das sogenannte „beratungsfreie Geschäft“ und das „execution only Geschäft“ künftig keine Gelder von dritter Seite angenommen werden, im Bereich der IDD gilt das für den beratungsfreien Verkauf von Versicherungsanlageprodukten. Beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten kommt es darüber hinaus zu einer Angleichung an die MiFID II, indem das Konzept der sogenannten „unabhängigen Beratung“ übernommen wird. Erbringen Versicherungsvermittler künftig unabhängige Beratung, dürfen sie keine Provision von Versicherern entgegennehmen.

Diese Angleichung wurde besonders in der Branche der Versicherungsmakler heiß diskutiert und ließ die Wogen hochgehen. Die Versicherungsmakler sehen sich traditionell im Lager des (potentiellen) Versicherungsnehmers und verstehen sich somit als unabhängig. Diesem Selbstverständnis folgend würde die RIS das Ende des derzeitigen Vergütungsmodells bedeuten, weil bei „unabhängiger Beratung“ ein Provisionsverbot gelten würde. Als Konsequenz daraus dürften Versicherungsmakler nur mehr Honorarberatungen erbringen und keine Provisionen mehr von Seiten der Versicherer für Versicherungsanlageprodukte beziehen. Aus unserer Sicht können wir hier aber Entwarnung geben. Die Bezeichnung als unabhängig im Sinne der RIS ist nämlich eine Art „Label“, das sich jeder Versicherungsmakler selbst anheften kann. Er ist hierzu aber weder verpflichtet noch gilt er automatisch als unabhängig. Daher können Versicherungsmakler frei entscheiden, ob sie am Markt unabhängig oder nicht-unabhängig im Sinne der RIS auftreten wollen.

Diese Auslegung beruht auf den folgenden Überlegungen: Gemäß den einleitenden Bemerkungen im Kommissionsentwurf sollen – in Anlehnung an die MiFID II – die regulatorischen Wohlverhaltenspflichten für Berater verschärft werden, wenn Versicherungsvermittler ihre Beratung als „unabhängig“ darstellen wollen („if insurance intermediaries want to present their advice as ‘independent’„). Ein Provisionsverbot für unabhängige Beratung soll Versicherungsvermittler demnach explizit nicht daran hindern, eine Beratung anzubieten, für die sie Provisionen von Versicherern erhalten können. Voraussetzung ist allerdings, dass sie die Beratung als „nicht-unabhängig“ darstellen und die Kleinanleger im Einklang mit den geltenden Transparenz- und Informationspflichten über die Anreize (Provisionen) informiert werden. Dieses Modell findet sich schon heute im WAG 2018: Die „unabhängige Anlageberatung“ wurde im Zuge der MiFID II als Gegenmodell zur „nicht-unabhängigen Anlageberatung“ etabliert. Dabei handelt es sich nicht um eine eigenständige Wertpapierdienstleistung, sondern eine Unterform der Anlageberatung. Die „unabhängige Anlageberatung“ ist eine honorarbasierte Beratung, die der Kunde unmittelbar selbst bezahlt. Charakteristisch für die unabhängige Anlageberatung ist folglich die Unabhängigkeit der Vergütung von Provisionszahlungen der Produktanbieter. Wertpapierfirmen können frei wählen, welche Form der Anlageberatung sie anbieten – niemand wird zur „unabhängigen Anlageberatung“ verpflichtet. Selbiges hat sich im Übrigen auch in Bezug auf unabhängige Kreditvermittler etabliert. Diese dürfen sich gemäß § 136e GewO unter anderem dann als unabhängig bezeichnen, wenn sie keinerlei Vergütung von einem oder mehreren Kreditgebern erhalten.

Im Ergebnis führt die RIS zu keinem generellen Provisionsverbot für Versicherungsmakler betreffend Versicherungsanlageprodukte. Vielmehr wäre die aktuelle österreichische Praxis, wonach der Versicherungsmakler als Doppelmakler auftritt und Provisionen vom Versicherer erhält, weiterhin zulässig – mit der Einschränkung, dass sich der Makler nicht als „unabhängig“ bezeichnen dürfte.

Den vollständigen Artikel lesen Sie in der Juli Ausgabe von risControl Print.

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