Das Institut für Versicherungswirtschaft an der Johannes Kepler Universität Linz widmete die diesjährige Herbstveranstaltung dem Thema „Die Zukunft des Vertriebes in der Lebensversicherung“. Wie auch schon bei einigen anderen Veranstaltungen, wie zum Beispiel des ExpertInnentreffens der Versicherungsmakler in Rust, lag das Hauptaugenmerk auf der Retail Investment Strategy. Mit Susanne Hofer (Internationale Angelegenheiten, Versicherungsverband Österreich) und Dieter Pscheidl, Head of European-Affairs bei der Vienna Insurance Group, befassten sich zwei hochqualifizierte Branchenvertreter in ihren Vorträgen mit dem Kommissionsentwurf und der Lage in Europa. Sie gingen dabei auf die Herausforderungen der Versicherungswirtschaft, insbesondere auf den Vertrieb von Kapitalanlageprodukten ein. „Neben dem „partiellen“ Provisionsverbot für unabhängige Beratung sind im Kommissionsentwurf auch Bestimmungen zur Offenlegung, dem elektronischen Vertrieb, der Produktentwicklung, Marketingkommunikation, Informationspflichten, sowie ein nachgeschärfter Best-Interest-Ansatz enthalten“, erklärt Gastgeber Othmar Nagl, Vorsitzender des Instituts und Generaldirektor der Oberösterreichischen Versicherung. Und weiter: „Provisionen sind in Österreich ein bewährtes System, um Beratungs- und Vertriebsleistungen zu vergüten. Verrechnet werden diese durch den Produkthersteller über die Kosten. Da die Kosten im Produktpreis den Kunden weiterverrechnet werden, bezahlen im Ergebnis die Kunden Beratungs- und Vertriebsleistungen des Vertreibers.“ Bei Kapitalanlageprodukten soll durch die seit 24. Mai 2023 als Entwurf vorliegende EU-Kleinanlegerstrategie zugunsten von Kunden in dieses Vergütungssystem regulatorisch eingegriffen werden. Ziel des Richtlinienentwurfes ist neben dem Kundenschutz auch die Förderung der Kapitalveranlagung durch Kleinanleger. Bereits Ende April hat die EU-Kommissarin für Wirtschaft und Kapitaldienstleistungen, Mairead McGuinness, in einer Rede angekündigt, dass in diesem Entwurf doch kein vollständiges Provisionsverbot für Versicherungsanlageprodukte enthalten sein wird. Und tatsächlich ist wie angekündigt kein vollständiges Provisionsverbot in der Veröffentlichung zu finden. Vielmehr wurde dieses auf die unabhängige Beratung sowie auf den beratungsfreien Verkauf eingeschränkt.
Vor gut einem Monat stellte die SPÖ in einer parlamentarischen Anfrage drei Ministerien jeweils zehn Fragen zum Vertrieb von Lebensversicherungen. Die inhaltlich umfangreichste Antwort kam aus dem Konsumentenschutzministerium. Laut Minister Johannes Rauch ergeben sich trotz der derzeitigen gesetzlichen Schutzbestimmungen Probleme für Verbraucher und spricht von Beschwerden aufgrund der hohen Abschlusskostenbelastung. Das Konsumentenschutzministerium wird sich dafür einsetzen, dass die Verhandlungen auch tatsächlich zu Bestimmungen führen, die einen verbesserten Schutz für Verbraucher gewährleisten. Ob das zwangsläufig zu einem Provisionsverbot führt, bleibt aktuell offen. Während sich der VVO gegen die vorgeschlagenen Provisionsverbote und Benchmarks positioniert, sieht sich der BVK deutsche Makler von dem Verbot überhaupt nicht betroffen. Der deutsche Rechtswissenschaftler Christoph Brömmelmeyer, Professor an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt arbeitet derzeit an einem Gutachten, welches sich mit der Frage eines möglichen Provisionsverbotes auseinandersetzt. Er glaubt, einen Ausweg gefunden zu haben. Stellt ein Makler im Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten klar, dass er zwar nicht persönlich von einem bestimmten Versicherer abhängig ist, die von ihm angebotene Beratungsleistung allerdings dennoch nicht unabhängig erfolgt, weil er wirtschaftlich von Provisionszahlungen abhängig ist, ist der Makler nicht unabhängig, so Brömmelmeyer. Unerwartete Unterstützung findet seine Ansicht durch den deutschen Bundesgerichtshof (BGH), der bereits in früheren Entscheidungen festgehalten hat, dass der Makler Sachwalter des Versicherungsnehmers, aber nicht „unabhängig“ ist.
Auch der Fachverband der Versicherungsmakler hat sich klar gegen ein Provisionsverbot ausgesprochen. Die Intention der EU-Kommission, wie Erwin Gisch in seiner Funktion als Fachverbandsgeschäftsführer der Versicherungsmakler in seiner Rede am diesjährigen Expertentreffen darstellte, sei nicht, der Berufsgruppe der Makler ein Provisionsverbot aufzuerlegen. Der Kommission geht es seinem Verständnis nach vielmehr um ein Wahlrecht zwischen Provisions- und Honorarvergütung. Er sieht den Grund darin, dass in den europäischen Mitgliedsstaaten unterschiedliche Definitionen für die Berufsgruppe der Makler bestehen. In Österreich ist das Maklerrecht im EU-Vergleich relativ streng und ein Wahlrecht steht möglicherweise nationalem Recht entgegen. Daher wird überlegt, wie man den Vorschlag zur Retail Investment Strategy ins nationale Recht umsetzen kann, ohne auf die Vergütung über Provisionen verzichten zu müssen.
Paul Carty Chef des EU-Ausschusses BiPAR forderte in Rust in seinem Vortrag ein Wahlrecht der Staaten und Konsumenten, wie sie die Vergütung regeln. Für ein europaweites Reglement sieht er keinen Grund. Am Beispiel der Niederlande, die seit 2013 ein Provisionsverbot für „komplexe“ Kapitalanlageprodukte eingeführt haben, sieht man, dass ein Provisionsverbot für Makler bedeutende Folgen hat. Kunden sind oft nicht bereit, das Honorar vom Verkauf unabhängig zu bezahlen. Zudem wird von Vertreibern verlangt, Kunden über wichtige Entwicklungen während der Vertragslaufzeit zu informieren. Bezahlt werden müsse das aber aus dem Honorar der „Abschlussberatung“, für After-Sales-Services gibt es aktuell kein Geschäftsmodell. Petra Hielkema, Vorsitzende der europäischen Aufsicht (EIOPA), argumentiert in einem Interview für das deutsche Fachmagazin Versicherungswirtschaft im Oktober, dass die Versicherungsbranche zu stark auf den „Point of Sale“ ausgerichtet sei. Sie selbst spricht sich nicht für eine Preisobergrenze aus, wichtig sei allerdings den gesamten Produktzyklus in Bezug auf das Preis-Leistungs-Verhältnis zu betrachten. Während sich Deutschland, Frankreich und auch Österreich für ein Provisionssystem aussprechen, hält die EU-Kommission beharrlich am Entwurf des Provisionsverbotes fest. „Die Industrie muss offen darüber diskutieren, was verbessert werden muss“, meint Hielkema. Die Position von EIOPA gegenüber der Kommission ist, dass es nicht zwingend darum geht, Provisionen zu verbieten, solange Verbesserungen auf dem Markt erkennbar sind. Hielkema ist an der Mitte interessiert, da man mit einem Verbot zwar einige Probleme lösen kann, aber eben nicht alle.
Entscheidung nur nach höchstqualifizierter Beratung möglich
Meinungen gibt es also viele zu dem Thema. Dieter Pscheidl bringt seinen Ansatz auf den Punkt: „Sozial verträgliche Beratung bringt Privatanleger zum Kapitalmarkt – nicht zentrale EU-Produktregulierung.“ Susanne Hofer formuliert ihre Aspekte noch deutlicher: „Das Legislativpaket zur „Retail Investment Strategy“ (RIS) beinhaltet Vorschläge, die das Angebot und die Gestaltung von Lebensversicherungsprodukten überbordend regulieren. Sollte das RIS-Paket in der derzeitigen Form beschlossen werden, würde dies zu einer erheblichen Schwächung der privaten Altersvorsorge und der individuellen Absicherung führen. Selbst die angedachten partiellen Verbote von provisionsbasierter Beratung hätten u.a. disruptive Folgen für den flächendeckenden bzw. niederschwelligen Zugang der Konsumenten zu Beratung, Finanzbildung und Versicherungsschutz. Überregulierung und Markteingriffe, wie die Einführung von indirekten Preisdeckeln, sowie durch Einheitsprodukte laufen der Produktvielfalt und den Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes zuwider. Zudem schwächt Überregulierung den Wirtschaftsfaktor „Versicherung“ und gefährdet das Potential, einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigen Transformation zu leisten.“
Auch der Generalsekretär des Versicherungsinstituts, Martin Berger, ist der Ansicht, dass es eine höchst qualifizierte und unabhängige Beratung braucht, um als Kleinanleger in der Kapitalveranlagung vernünftige Entscheidungen treffen zu können. „Durch Preis- beziehungsweise Kostendeckel und Provisionsverbote wird der Markt auf wenige Vertreiber und Produkte eingeschränkt“, zeigt Berger die Gefahr eines Provisionsverbotes auf. Zudem ist bei sogenannten „Pull-Products“, zu denen auch die Kapitalanlageprodukte gehören, die Bereitschaft von Anlegern gering, für Beratung Honorare unabhängig vom Abschluss zu bezahlen. „Es ist zu befürchten, dass die „Beratung“ auf unregulierte und nicht steuerbare Medien verlagert wird, und Kleinanleger auf Basis dieser kostenfreien Meinungsbildung in sozialen Netzwerken ihre Kapitalanlageentscheidungen treffen“, so Berger weiter. Unser Provisionssystem mag unvollkommen sein und Potential zur Optimierung haben, ein Provisionsverbot als einziges Heilmittel zur Fehlerbehebung scheint zu kurz gedacht. Zudem ist das Ziel der Förderung von Veranlagungen im europäischen Kapitalmarkt durch Kleinanleger mit einem Umstieg auf Honorarberatung nicht sicher erreicht, wie auch die Geschichte Großbritanniens zeigt.
„Die Definition des Versicherungsmaklers nach deutschem Vorbild neu zu überdenken und die „Unabhängigkeit“ weg zu argumentieren, erachte ich angesichts der in der Retail Investment Strategy enthaltenen Review-Clause als risikoreiche Abkürzung, da eine EU-Richtlinie die faktisch den Markt nicht trifft zwangsläufig den Kommissionswunsch verfehlt, und in Folge zu einem vollständigen Provisionsverbot für alle Vertriebswege führen kann“, erklärt Berger abschließend.