Michael Herzhofer Obmann der AFPA ©Fineart Photos , Mag. Günther Ritzinger ©Ivana Jovic
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Durch Bürokratie-Abbau die EU zukunftsfit machen.

AFPA

Wer aktuell draußen unterwegs ist, kann nicht übersehen, dass EU-Wahlen anstehen. Konkret finden zwischen 6. und 9. Juni in den 27 Mitgliedsstaaten der EU die Europawahlen statt. Dabei werden laut Wikipedia 720 Abgeordnete gewählt und damit 15 mehr als im ausgehenden Parlament. Dieses “Mehr an Parlamentariern“ erscheint ein wenig sinnbildlich für die EU zu sein. Alle spüren täglich die drückende Last von Regularien, welche auch zunehmend bei den Kunden auf Unverständnis stoßen.
Wer im Markt unterwegs ist, hört regelmäßig: Müssen es wirklich 100 Seiten Beratungsprotokoll sein, um garantieren zu können, dass die Kunden das richtige Produkt erhalten? Wieso gibt es so viele Unklarheiten im Zusammenhang mit ESG? Und warum werden die Vorschriften mit jeder neuen Richtlinie mehr?

AFPA, der unabhängige Branchenverband der selbständigen Finanzberater und Versicherungsvermittler Österreichs, stellt fest: Es ist höchste Zeit hier gegenzusteuern.
AFPA wird sich in den nächsten Monaten auch bei diesem überlebenswichtigen Thema (vor allem aus Sicht der kleinen und mittelgroßen selbständigen Finanzberater und Versicherungsvermittler) mit praktischen Beispielen für „Smart Regulation“ einbringen.

Wobei auch der AFPA wichtig ist, dass weiterhin effektiver Konsumentenschutz gegeben ist. Aber: Bürokratie abbauen, den drückenden Regulatorien gegensteuern und auf europäischer Ebene positive Impulse für die Vermittlerschaft setzen – das hat sich der neue Obmann der AFPA Michael Herzhofer vorgenommen.

Im folgenden Experten-Beitrag analysiert Mag. Günther Ritzinger die Ausgangslage und schließt den Beitrag mit einer “mutbringenden” Botschaft. Und erinnert die bestehende, aber auch künftige EU-Kommission an ihre eigenen Ziele, die im Programm REFIT niedergeschrieben wurden.

Gerade in den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Regulatorik am Finanzmarkt, vor allem bedingt durch Krisen, Finanzskandale und daraus erwachsene Erkenntnisse, deutlich intensiviert. Bestehende Regularien wurden erweitert, neue kamen hinzu, und dies in immer kürzer werdenden Abständen, wie es scheint. Dabei hat die Normsetzung mittlerweile nicht selten einen Grad an Komplexität erreicht, der es den Adressaten – bei allem erkennbaren Willen zu gesetzestreuem Verhalten – zunehmend erschwert, Sicherheit darüber zu erlangen, ob man die Regeln denn überhaupt richtig verstanden, eingeordnet und daher gesetzeskonform umgesetzt hat. Dass der europäische Gesetzgeber in den letzten Jahren zunehmend mit teils stark lückenbehafteten Rechtsakten aufwartet, stärkt die Rechtssicherheit für die Normunterworfenen mit Sicherheit nicht (man denke beispielhaft an den Bereich „Sustainable Finance“ bzw. „ESG“, in dem der Gesetzgeber bis heute im zuvor genannten Sinne „nachzubessern“ versucht). Auch haben sich mittlerweile einige gesetzgeberische Techniken etabliert, die einem Praxistest am Maßstab der Zielerreichung in punkto Angemessenheit und Wirksamkeit bei ehrlicher Betrachtung nicht standhalten können (wie z.B. die vielerorts gesetzlich normierte Informationsflut gegenüber Verbrauchern).

Um Missverständnissen vorzubeugen: Was Sie hier lesen, stellt keinesfalls ein Plädoyer gegen Regulatorik oder Aufsicht dar. Im Gegenteil. Wir (Menschen) haben in der Historie in hinreichend belegbarer Weise gezeigt, dass wir in den verschiedensten Lebens- und bzw. Arbeitsbereichen klare Regeln benötigen, um korrektes und integres Verhalten auf zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Ebene sicherzustellen. Ohne klare Regeln und ohne eine starke Aufsicht würde am Finanzmarkt auch heute rasch wieder der „wilde Westen“ herrschen, so ehrlich müssen wir sein.

Umgekehrt aber muss es zulässig und akzeptiert sein, einen offenen Diskurs über bereits implementierte Regeln zu führen, diese nach einer gewissen Phase der Anwendung erneut zu beurteilen und erforderlichenfalls anzupassen oder gar zu verwerfen. Die Regulierungsentwicklungen der letzten Jahre lassen dies jedenfalls als sinnvoll erscheinen.

Wer allerdings Regulatorik auf diese Weise auf den Prüfstand stellt, muss sich die mit den Regularien verknüpften Ziele vor Augen halten, denn sie bilden den legitimen Maßstab für die Beurteilung von Angemessenheit und Wirksamkeit bestehender Normen. Aus den unterschiedlichen Regularien des Finanzmarkts sind auf einer Makroebene im Wesentlichen die folgenden Ziele ableitbar: die Stabilität des Finanzmarkts, die Integrität des Finanzmarkts, der Schutz von Verbrauchern (bzw. Einlegern/Anlegern) sowie das Vertrauen in den Finanzmarkt. Diese Ziele spiegeln sich auch in dem auf der Website der Finanzmarktaufsicht (FMA) ersichtlichen Mission Statement wider, wenn die Behörde meint: „Mit Kompetenz, Kontrolle und Konsequenz verfolgen wir die Ziele, die Stabilität des österreichischen Finanzmarkts und das Vertrauen in einen funktionierenden österreichischen Finanzmarkt zu stärken, präventiv in Bezug auf die Einhaltung der Aufsichtsnormen vorzugehen sowie Anleger, Gläubiger und Verbraucher zu schützen.“

Es ist offensichtlich, dass diese – letztlich politischen – Ziele nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können, sondern vielmehr ineinandergreifen. Auch erübrigt sich eine Diskussion darüber, ob die Ziele richtig gesetzt wurden. Denn es dürfte zum Glück wohl außer Streit stehen, dass ein
stabiler Finanzmarkt, in den professionelle Finanzmarktteilnehmer (Banken, Versicherungsunternehmen, Berater und Vermittler etc.) und angemessen geschützte Verbraucher
gleichermaßen vertrauen dürfen, eine wesentliche Voraussetzung für jede gesunde Volkswirtschaft darstellt.

Wo also drückt der Schuh? Auf Ebene der Regeln, die zur Erreichung der zuvor genannten Ziele geschaffen wurden. Denn hier zeigt die Erfahrung, dass es im Wesentlichen die folgenden „Charaktere“ an Regeln sind, die den Adressaten mitunter Kopfzerbrechen und oftmals (unnötig) großen administrativen Aufwand bescheren:
1. Regeln, die in wesentlichen Aspekten Regelungslücken aufweisen und den Normadressaten daher in einer unangenehmen (Rechts-)Unsicherheit zurücklassen;
2. Regeln, denen es schlicht an der Praxistauglichkeit mangelt, d.h. Regeln, die sich bei objektiver Betrachtung in der Praxis bereits als zielerreichungsuntauglich erwiesen haben; und schließlich
3. Regeln, mit deren Einhaltung für die Normunterworfenen – bemessen an der Wirksamkeit bzw. Zielerreichungskraft – ein unangemessen hoher Aufwand einhergeht. Kombinationen dieser drei Charaktere sind naturgemäß denkbar und werden in der Praxis auch dargeboten.

Was konkret also braucht es? Eine funktionierende und wirksame Revision bestehender Regulatorik. Es braucht Mechanismen, die es uns ermöglichen, Regeln der zuvor genannten Art zu detektieren und auszumerzen. Ich möchte dies gerne als „nachhaltige Regulatorik“ bezeichnen – „nachhaltig“ im Sinne der Wirksamkeit zur Zielerreichung, aber auch im Sinne einen vernünftigen Aufwand/Nutzen-Relation, die es unseren europäischen Finanzinstituten und Finanzakteuren ermöglicht, im internationalen Wettbewerb weiterhin eine starke Position zu behalten.

In diesem Zusammenhang zum Abschluss eine mutbringende Nachricht:
Die Europäische Kommission selbst hat die Notwendigkeit einer solchen nachhaltigen Regulatorik wohl erkannt und ihr bereits im Jahr 2015 einen konkreten Namen gegeben: REFIT – Programm zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung. Mit diesem Programm will die Kommission erreichen, dass die auf EU-Ebene geschaffenen Regeln den beabsichtigten Nutzen für die Bürger und Unternehmen bringen. Laut Kommission ist es gerade die Masse der kleinen und mittleren Unternehmen der EU, die von REFIT profitieren, „da für sie bürokratische Hürden und komplexe Vorschriften besonders belastend sind“ (Zitat von der Website der EU-Kommission).

Für den Finanzmarkt kann man dies wohl leider noch nicht als faktischen Stand der Gegenwart bezeichnen. Es bleibt aber zu hoffen, dass die Europäische Kommission ihrem guten Ansatz auch im Bereich des Finanzmarkts zu blühender Umsetzung verhilft.

 

 

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