Jerome Powell ©FED
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Zinssenkungsspielraum in der Eurozone vs. Fed-Abwarten

von Michael Kordovsky

Die Märkte haben es bereits richtig eingeschätzt und vorweggenommen. Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) hat den Leitzins am 29. Januar 2025 unverändert bei 4,25 bis 4,50 % gelassen. Diese Entscheidung spiegelt die weiterhin restriktive Geldpolitik wider, um der hartnäckigen Inflation entgegenzuwirken. Fed-Chef Jerome Powell warnte: „Wir wissen, dass eine zu schnelle oder zu starke Lockerung der geldpolitischen Restriktionen den Fortschritt bei der Inflationsbekämpfung beeinträchtigen könnte.“ Tatsächlich zogen die US-Verbraucherpreise im Dezember um 2,9 % im Jahresvergleich an, nachdem sie zuvor bereits drei Monate in Folge gestiegen waren.

Gleichzeitig zeigt die US-Wirtschaft weiterhin eine beeindruckende Robustheit. Die Arbeitslosenquote fiel im Dezember leicht auf 4,1 %, während zahlreiche neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Trotz eines leichten Wachstumsrückgangs von 3,0 % im Q2 auf 2,5 % im Q4 2024 bleibt das Wirtschaftswachstum dynamisch. Daher rechnen Marktteilnehmer aktuell mit höchstens ein bis zwei Leitzinssenkungen im Jahresverlauf.

Politisch gerät die Fed unter Druck. US-Präsident Donald Trump fordert angesichts sinkender Ölpreise sofortige Zinssenkungen und erklärte provokant: „Ich kenne mich mit Leitzinsen besser aus als die Fed.“ Powell reagierte mit Bedacht: „Wir warten geduldig ab und müssen nichts überstürzen.“ So lange Powell im Amt bleibt (voraussichtlich bis Mai 2026) könnte somit die Zinspolitik restriktiver bleiben als sich dies Trump von er eigentlich unabhängigen Fed wünscht.

EZB vor weiteren Zinssenkungen

Im Gegensatz dazu hat die Europäische Zentralbank (EZB) am 30. Januar 2025 die fünfte Leitzinssenkung in Folge beschlossen. Der Einlagenzins wurde auf 2,75 % gesenkt, der Hauptrefinanzierungssatz auf 2,90 %. Angesichts der schwachen Wirtschaftsdaten im Euroraum erscheint eine Fortsetzung der Zinssenkungen wahrscheinlich. Marktbeobachter rechnen mit bis zu drei weiteren Senkungen (auf 2,00 % im relevanten Einlagezins) in den kommenden Monaten.

Die europäische Wirtschaft zeigt sich deutlich schwächer als die US-Wirtschaft. Das BIP-Wachstum lag im dritten und vierten Quartal 2024 nur noch bei jeweils 0,9 %, nachdem auch Deutschlands Wirtschaftsleistung schrumpft. Die Industrie befindet sich in einer Rezession, was zu einer Dämpfung des Lohnkostendrucks führt. Die Inflationsrate sank von 2,9 % im Dezember 2023 auf 2,4 % im Dezember 2024.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde bestätigte den Disinflationsprozess: „Die Inflation hat sich im Wesentlichen weiterhin im Einklang mit den Projektionen entwickelt und dürfte im laufenden Jahr zu unserem mittelfristigen Zielwert von 2 % zurückkehren.“ Sie betonte zudem: „Unseren Erwartungen zufolge wird die Inflation kurzfristig um das aktuelle Niveau schwanken. Danach sollte sie sich nachhaltig um den mittelfristigen Zielwert von 2 % einpendeln.“

Steilere Zinskurve und Debatte um den neutralen Zins

Mit dem unterschiedlichen geldpolitischen Tempo von Fed und EZB könnte sich die Leitzinsdifferenz zwischen den USA und der Eurozone bis Jahresende von derzeit 1,50 bis 1,75 Prozentpunkten auf bis zu 2,00 bis 2,25 Prozentpunkte ausweiten. Auch am langen Ende könnte es in den USA noch weitere Zinsanstiege geben (z.B. Renditeanstiege bei langlaufenden Staatsanleinen). Dies könnte den US-Dollar weiter stärken und den Euro unter Druck setzen.

Lagarde wies auf die steilere Zinskurve hin: „Was den Anstieg der Renditen betrifft, so ist er, unabhängig davon, ob man das kurze oder das lange Ende der Kurve betrachtet, in der Tat gestiegen, und es handelt sich um einen globalen Prozess. Er hat sich vor allem in den Vereinigten Staaten vollzogen, aber er ist auf die ganze Welt übergeschwappt, und auch der Euroraum ist von diesen Spillover-Effekten nicht verschont geblieben“.

Hinsichtlich des neutralen Zinsniveaus bleibt die Debatte offen. Lagarde stellte klar: „Wir sind derzeit restriktiv. Wir sind nicht bei der neutralen Rate. Diese Debatte ist völlig verfrüht.“ Der neutrale Zins, bei dem die Geldpolitik weder expansiv noch restriktiv wirkt, liegt nach bisherigen Schätzungen von Ökonomen der EZB im Bereich 1,75 bis 2,5 %.

Fazit: Die EZB steht vor weiteren Zinssenkungen, um die wirtschaftliche Schwäche im Euroraum zu kompensieren. Die Fed hingegen bleibt angesichts der robusten Konjunktur und persistenter Inflationsrisiken vorsichtig. Sollte die Zinsdifferenz zwischen den beiden Währungsräumen weiter steigen, könnte der US-Dollar seine Aufwertung gegenüber dem Euro fortsetzen.

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