Nach monatelangen, teils harten Verhandlungen auf europäischer Ebene wurde am 18. Dezember 2025 die politische Einigung zur neuen Retail Investment Strategy (RIS) erzielt. Für die heimische Finanz- und Versicherungswirtschaft markiert dieses Datum einen Wendepunkt, der vor allem von einer zentralen Erkenntnis geprägt ist: Das ursprünglich von der EU-Kommission forcierte, pauschale Provisionsverbot im beratungsfreien Geschäft ist vom Tisch. Dieser Erfolg ist nicht zuletzt der intensiven Überzeugungsarbeit von Branchenvertretern zu verdanken, die vor einer massiven Unterversorgung breiter Bevölkerungsschichten bei der privaten Vorsorge warnten. Doch während das Provisionsmodell als solches gerettet wurde, steigt die regulatorische Belastung durch neue Qualitätsvorgaben und Kostentransparenzregeln massiv an.
Ein Kernstück der Einigung betrifft die Verschärfung der Wohlverhaltensregeln im Rahmen der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) und der MiFID II. Anreizleistungen wie Provisionen oder Gebühren dürfen künftig nur noch dann fließen, wenn sie nachweislich im bestmöglichen Interesse des Kunden liegen und zu einem greifbaren Vorteil führen. Diese Kosten müssen zudem künftig vollkommen transparent und getrennt von anderen Entgelten ausgewiesen werden. Damit eng verknüpft ist das neue „Value for Money“-Konzept, welches eine objektive Bewertung der Preis-Leistungs-Verhältnisse vorsieht. Wertpapierunternehmen und Versicherer sind künftig gefordert, ihre Kostenstrukturen anhand von Peer-Gruppierungen und spezifischen Aufsichtsbenchmarks zu messen, die von den europäischen Behörden EIOPA und ESMA entwickelt werden. Produkte, deren Kosten als ungerechtfertigt oder unverhältnismäßig eingestuft werden, sollen keine Zulassung für den Vertrieb an Kleinanleger mehr erhalten. Für den österreichischen Markt bedeutet dies einen erheblich gesteigerten Rechtfertigungsdruck gegenüber der Finanzmarktaufsicht.
Neben diesen Verschärfungen bringt die RIS-Einigung jedoch auch praxisgerechte Erleichterungen für das Geschäft mit erfahrenen Anlegern mit sich. Die Schwellenwerte für die Einstufung als professioneller Kunde wurden deutlich gesenkt, um einen flexibleren Marktzugang zu ermöglichen. So wurde die notwendige Portfoliogrenze von bisher 500.000 Euro auf nunmehr durchschnittlich 250.000 Euro halbiert. Auch bei der Transaktionshäufigkeit wurden die Hürden auf 15 bedeutende Transaktionen innerhalb der letzten drei Jahre angepasst. Neu ist zudem ein alternatives Kriterium, welches eine spezifische Ausbildung oder Schulung sowie die nachgewiesene Fähigkeit zur Risikobewertung als Qualifikationsmerkmal anerkennt. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass erfahrene Anleger oft ein geringeres Schutzbedürfnis haben als der durchschnittliche Privatkunde.
Gleichzeitig reagiert die EU mit der Einigung auf die fortschreitende Digitalisierung des Finanzmarktes. Ein besonderes Augenmerk liegt künftig auf den Aktivitäten sogenannter „Finfluencer“. Werden diese für Marketingzwecke eingesetzt, tragen die Unternehmen die volle Verantwortung und müssen schriftliche Vereinbarungen sowie strikte Kontrollmechanismen vorweisen. Auch die „Investor Journey“ wird technischer: Informationen wie das Basisinformationsblatt (KID) müssen künftig in maschinenlesbaren Formaten bereitgestellt werden, was die digitale Vergleichbarkeit von Produkten massiv erhöhen wird.
Der Fahrplan zur Umsetzung ist bereits grob skizziert, auch wenn die finalen technischen Rechtstexte erst Anfang 2026 vorliegen werden. Nach der formellen Verabschiedung haben die Mitgliedstaaten 24 Monate Zeit, die Vorgaben in nationales Recht zu gießen. Die vollständige Anwendung der meisten RIS-Regeln wird somit voraussichtlich Mitte 2028 erfolgen, wobei die neuen Bestimmungen für die Basisinformationsblätter bereits nach einer verkürzten Frist von 18 Monaten schlagend werden. Für die Marktteilnehmer bedeutet dies, dass zwar die ökonomische Basis der Provisionsberatung gesichert bleibt, die Anforderungen an die Produktdokumentation und die Preisgestaltung jedoch in eine neue, deutlich strengere Phase treten.





