Nein, es ist nicht so, dass man sich freut, wenn andere Probleme haben. Als überzeugter Europäer denke ich immer noch, dass das UK (United Kingdom), das Vereinigte Königreich, also England, Teil der EU sein sollte. Auch wenn die Briten manchmal nicht so gut mitgemacht haben. Aber ihre pragmatische Art, Toleranz und Offenheit haben die europäische Politik beeinflusst. England ist schon immer ein wichtiger Teil von Europa gewesen und hat die Politik und Kultur in Europa maßgeblich mitgeprägt
Dann haben sie beschlossen, aus der EU auszutreten. Ein Politiker namens Nigel Farage – er ist der Erz-Brexiteer – war einer der stärksten Befürworter des Brexit. Er wollte unbedingt, dass es passiert. Vor kurzem hat er zu seinen Landsleuten noch gesagt, sie sollten Geduld haben, weil der Brexit alles besser machen wird. Er meinte damit, dass Großbritannien seine Unabhängigkeit zurückgewonnen hat und nicht mehr Teil einer übergeordneten Organisation ist. Aber der Brexit ist noch nicht abgeschlossen und das ist ein Problem. Viele Leute in Großbritannien merken, dass es nicht nur einzelne schlechte Ereignisse sind, die ihr Leben beeinflussen. Ein weiteres Problem steht bevor. Ab dem 31. Oktober führt die UK-Regierung, für frische und gekühlte Lebensmittel die aus anderen Ländern kommen, Kontrollen ein. Die EU hat diese Kontrollen schon eingeführt und das bringt viel Bürokratie und hohe Kosten mit sich. Die Auswirkungen auf den Obstexport aus Großbritannien in die EU waren dramatisch. Der Wert der Exporte sank von 248,5 Millionen Pfund im Jahr 2021 auf 113,8 Millionen Pfund im Jahr 2023, das ist mehr als die Hälfte weniger.
Jetzt wird es andersherum funktionieren. EU-Hersteller von Fleischprodukten, die in das Vereinigte Königreich exportieren möchten, müssen einen Tierarzt mit der Zertifizierung ihrer Waren beauftragen, was bis zu 700 Euro pro Stück kosten wird. Alle Sektoren müssen Agenten für die Einhaltung der Dateneingabe beschäftigen, was weitere 200 € kosten könnte. Ab Januar fällt dann für jede Sendung eine Grenzkontrollgebühr von bis zu 43 £ an, unabhängig davon, ob sie physisch kontrolliert wird oder nicht. Angesichts all dessen werden Tausende von Kleinproduzenten aus ganz Europa, welche das United Kingdom mit einer sagenhaft vielfältigen Palette an Qualitätsprodukten versorgt haben, einfach entscheiden, dass es die Mühe nicht wert ist. Sie werden woanders verkaufen. Die Qualität des Lebens in UK wird beeinträchtigt sein.
Jede Politik, die dazu führt, dass man schlechter essen muss und das Leben weniger gut ist, dass die Lebensqualität sinkt, ist eine schlechte Politik. Das steht so, wörtlich, in der UK-Presse. Und die ist für ihre drastische Ausdrucksweise bekannt.
Durch die EU-Mitgliedschaft hatte sich die Qualität der Ernährung und damit auch des Lebens enorm verbessert. Sie ermöglichte den uneingeschränkten Zugang zu einem riesigen Markt, einschließlich der Produkte, welche die Grundlage der zu Recht gepriesenen Mittelmeerdiät bilden. Die Briten haben besser gegessen, besser und billiger gelebt. Die derzeitige Politik, führe dazu, dass sich die Menschen schlechter ernähren und dass das Leben und die Chancen im UK weniger gut sind. Insgesamt ist der Brexit ein negativer Wendepunkt in der Geschichte des Vereinigten Königreichs.
Und es gibt noch größere Probleme. Es gibt eine Krise der Lebenshaltungskosten, die durch den Brexit noch verschärft wird. Die Wirtschaft wird durch den Brexit gebremst. Unzählige Menschen müssen inzwischen Lebensmittelbanken nutzen. Die körperliche Gesundheit des Landes leidet, weil der Staat nicht das Geld hat, um in den NHS (Nationaler Gesundheitsdienst) zu investieren. Was teilweise auf den Brexit zurückzuführen ist. Dabei hatte man den Menschen versprochen, dass man durch den Austritt aus der EU 300 Millionen Pfund – pro Woche! – in den staatlichen Gesundheitsdienst investieren könne.
Inzwischen sind die neuesten Brexit-Probleme nicht mehr nur auf den Feinkostbereich des Lebensmittelmarktes beschränkt. Das Fresh Produce Consortium warnte kürzlich, dass die neuen Grenzregeln in einer Zeit ohnehin akuter Lebensmittelinflation zu Verzögerungen und Kosten in Millionenhöhe führen würden. Das British Retail Consortium, das die Supermärkte vertritt, stimmt dem zu. Eine Vereinbarung hätte zu gegenseitiger Anerkennung der Lebensmittelstandards führen können. Das war der Kern des EU-Projekts. Das Vereinigte Königreich wollte jedoch die Freiheit, Handelsabkommen mit Drittländern abzuschließen und Produkte mit niedrigeren Standards als den EU-Zulassungen zulassen. Daher diese aufwendigen Kontrollen. Ja, der Brexit ist geschafft. Die Briten, so scheint es, sind es auch. Die UK-Regierung meldet dauernd Handelserfolge. Damit meint man, wir machen jetzt Handel mit den – symbolisch gemeint – Fidschi-Inseln. Aber den Riesenmarkt vor der Haustür – die EU – kann man nicht nutzen.
Und es bewegt sich doch. Waren die Briten beim Austritt aus der EU, am 31. Jänner 2020, zu über sechzig Prozent für den Austritt, so sind heute, in etwa, genauso viele für ein zweites Referendum. Remain (in der EU „bleiben“) liegt im Trend. Doch die britische Regierung ist in einer Sackgasse. Sie kann den Brexit nicht rückgängig machen, sie kann aber auch die Probleme, die der Brexit verursacht, nicht lösen. Denn noch immer treibt Nigel Farage, der Erz-Brexiteer, die britische Politik vor sich her. Er ist ein Populist, der das Land ins Chaos gestürzt hat. Die Briten sind mit den Folgen des Brexits unzufrieden, aber die britische Regierung ist nicht bereit, eine neue Abstimmung abzuhalten, denn sie fürchtet, dass Farage und seine Anhänger eine neue Abstimmung gewinnen würden.
Ex tempore: Vor kurzem hat Nigel Farage zugegeben, er ist bekanntlich ehemaliger Vorsitzende der UK Independence Party (UKIP), welche die größte Oppositionspartei im britischen Parlament ist, dass der Brexit missglückt sei. Als wahrhaft einziger „guter Politiker“ ist natürlich nicht er daran schuld, dass der Brexit faktisch gescheitert ist. Nein. So sagte er in einem Interview im UK-Fernsehen: „Was der Brexit leider bewiesen hat, ist, dass unsere Politiker genauso zu nichts zu gebrauchen sind wie die Brüsseler Kommissare. Der Brexit ist ein Misserfolg.“ Ihm tut das nicht weh. Seine Anhänger sehen in ihm immer noch den Helden der Großbritannien aus der EU befreit hat. Farage aber wird – ab und zu – vielleicht doch noch von der EU träumen. Den dort, in Frankreich, soll er eine Villa gehabt haben. Aber, wer weiß schon genaues