„Gut, dass du da bist! Vielleicht kannst du mir helfen, bevor ich die Nerven verliere und den Hammer nehme!“, sagt Kurt an diesem Sonntag zu mir nach einer knappen Begrüßung. Auf seinem Küchentisch steht eine Mikrowelle, die er verbissen zu zerlegen versucht.
„Was machst du da?“, frage ich verwundert.
„Diese Mikrowelle da gehört meinem Onkel. Er ist über achtzig Jahre alt und immer, wenn ein Elektrogerät bei ihm nicht funktioniert, ruft er mich an und bittet mich um meine geschätzte Hilfe. Ich weiß auch nicht, wieso er in solchen Fällen immer mich kontaktiert, da ich ja bekanntlich kein Elektriker bin. Egal. Ich habe für meinen Onkel inzwischen eine neue Mikrowelle besorgt, nachdem ich niemanden gefunden habe, der die alte da repariert. Und jetzt versuche ich herauszufinden, warum sie keinen Mucks mehr von sich gibt.“
„Alles klar! Du führst also eine Autopsie an dieser toten Mikrowelle durch.“
„Ganz recht! Aber da, schau her! Alle Schrauben am Gehäuse lassen sich problemlos herausdrehen, nur diese beiden nicht − vermutlich wieder so ein elendes Sicherheitspatent.“
Ich setze mir die Brille auf, um meinen Blick zu schärfen. „Sieht ganz so aus“, sage ich schließlich, nachdem ich die beiden Schrauben mit Kurts LED-Akkuleuchte untersucht habe. „Und vermutlich passen sämtliche Inbusschlüssel, Schraubenzieher und Bits, die es für uns Sterbliche zu kaufen gibt, nicht zu diesen Schrauben.“
„So ist es“, erwidert Kurt und zeigt mir sein umfassendes Werkzeugsortiment. „Also doch Hammer und Stemmeisen.“
„Nein, warte“, werfe ich ein, „versuchen wir erst, die Schraube aufzubohren.“ Irgendwie möchte ich nun auch wissen, wie es in dieser Mikrowelle aussieht, auf deren Rückseite der gut sichtbare Hinweis angebracht ist, der sinngemäß besagt: Gehäuse nicht öffnen, Mikrowellen sind gefährlich! Selbstverständlich: Hat nicht Steven Seagal in seinem Film Alarmstufe Rot eine Mikrowelle in eine Bombe verwandelt und versuchen nicht findige Ingenieure in West und Ost schon geraume Zeit Mikrowellenwaffen zu entwickeln? Aber ein Mikrowellenherd, dem man den Stecker gezogen hat, ist nur ein lebloser Gegenstand aus Plastik, Glas und Metall. Also ran an die Schrauben!
„Gut, Idee“, meint Kurt und läuft in den Keller, um seinen Akkuschrauber und passende Bohrer zu holen. Wieder zurück macht er sich ans Werk, als er plötzlich innehält und auf seinen Akkuschrauber zeigt: „Deutsche Firma, deutsches Design, deutsche Verpackung und angeblich auch deutsche Qualitätskontrolle! Aber in Wahrheit ist der Akkuschrauber Made in China. Genauso wie diese Mikrowelle vor uns!“ Kurt lacht: „Ist schon irgendwie komisch. Jetzt hat der kollektive Westen den chinesischen Drachen Jahrzehnte lang durch die Globalisierung gefördert und gefüttert, doch jetzt, nachdem der Drache ziemlich groß geworden ist, haben alle auf einmal Angst, er könnte auch Feuer speien – und jene, die bis vor kurzem noch das Lied von der heilbringenden Globalisierung sangen, schreien: Halt, kehrt marsch, wir müssen zurück! Tja, viel Spaß dabei …“
Kurt bohrt besagte Schrauben auf, die Späne fliegen, dass verwendete Metall ist billiges Blech. Endlich ist es so weit: Wir öffnen das Gehäuse und betrachten die Innereien der Mikrowelle. Da gibt es einen großen Trafo, der aber unbeschädigt scheint, noch ein paar Teile, die wir ich nicht zuordnen können – und den mechanischen Mikrowellenschalter, der in ein weißes Plastikgehäuse eingeschweißt ist. Aber nirgends finden sich verschmorte Kabel oder sonstige augenscheinliche Defekte. Kurt kein Elektriker, ich kein Elektriker − wir vermuten als Ursache des Fehlers den mechanischen Schalter, der aber für uns nicht zugänglich ist, zumindest nicht ohne Gewalteinwirkung.
„Wieder einmal typisch“, murrt Kurt. „Erst bauen sie lauter so Zeug, das sich schwer bis gar nicht reparieren lässt, und dann wundern sie sich über den riesigen Berg an Elektroschrott. Da hilft der Reparaturbonus auch nicht viel – wie diese Mikrowelle beweist. Und nachdem die Mikrowelle da ebenso wie mein Akkuschrauber und weiß der Kuckuck noch was in meinem Haus deutsches Design ist, kann man die Sache den Chinesen nicht wirklich anhängen.“
„Okay“, sage ich schließlich, „räumen wir den Totalschaden weg.“
„Gut“, erwidert Kurt, „aber wir müssen den Elektroschrott vor der Entsorgung sorgsam schreddern, vor allem etwaige Computerchips, damit sie den Russen nicht in die Hände fallen.“
Ich sehe Kurt verständnislos an.
Er grinst: „Ja, weiß du denn nicht, dass die Russen in letzter Zeit unnatürlich viele Waschmaschinen und sonstige Haushaltsgeräte aus dem Westen über Drittländer importiert haben? Angeblich leiden sie wegen der endlosen Sanktionen schwer unter einem Mangel an Computerchips aller Art, und deswegen bauen sie aus Waschmaschinen und so weiter die Chips aus und setzen sie in ihren Raketen wieder ein. Es stellt sich natürlich die Frage, mit welchem Waschgang die russischen Iskander-Raketen und Kalibr-Marschflugkörper über hunderte Kilometer nach Kiew, Odessa und Charkow fliegen und dort treffsicher einschlagen. Wie auch immer: Der Gedanke, dass ein russischer Agent in Dunkelmann-Outfit − und die russischen Agenten sind, wie man so hört, angeblich überall höchst aktiv − in stockfinsterer Nacht meinen Elektroschrott aus dem Wertstoffsammelzentrum klaut und daraus eine alles zerstörende Endzeitbombe baut, ist mir unerträglich.“
„Du bist verrückt“, sage ich freundlich.
„Findest du?“, meint Kurt gut gelaunt. „Ich fühle mich recht gesund und suche bloß einen Weg um mit dem täglichen Wahnsinn fertig zu werden. Apropos – was ganz anderes: Es ist bald hab eins, ich spüre Hunger und wegen der blöden Microwelle habe ich noch nichts gekocht. Gehen wir etwas essen?“
„Ja, gerne“, sage ich. „Was schwebt dir vor?“
„Das neue Chinarestaurant natürlich …“