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Über Plastik, Recycling-Pfand und ein Gefühl der Freiheit

von Thomas Beckstedt

Als ich an diesem Freitag, es ist der 13. Dezember, auf einen Sprung bei Kurt vorbeischaue, fordert er mich auf, ihm in seine Garage zu folgen, er müsse mir etwas zeigen. Ich bin sofort neugierig: Hat sich Kurt ein neues Auto gekauft oder ein Verschönerungsprojekt für seine Garage gestartet? Ich weiß es nicht, aber nur wenige Schritte später, als ich sehe, was Kurt mir zeigen will, klappt meine Kinnlade nach unten. Entlang der Garagenmauern hat er eine Unmenge an Mineralwasserflaschen (Plastik, nicht Glas!) aufgestapelt. Automatisch fange ich an, zu zählen und gehe bald über zu einer Schätzung. „Das müssen ja hunderte sein“, sage ich beeindruckt.

„Richtig“, erwidert Kurt, „es sind exakt 1.000“, und während er das sagt, bewegt er die Augenbrauen, als wollte er hinzufügen: „Gell, da schaust du!“

„Und was machst du damit?“, frage ich spontan. „Bereitest du dich auf den Dritten Weltkrieg vor?“

„Natürlich nicht“, lautet Kurts Antwort. „Aber wie du weißt, wird ab 1. Jänner 2025 in Österreich ein Recycling-Pfand eingeführt …“

„Und du willst da nicht mitspielen“, unterbreche ich ihn.

„Das ist so nicht ganz richtig“, erwidert Kurt. „Ich verschaffe mir lediglich eine großzügige Pause, weil ich mir nicht sicher bin, ob die warm angepriesene Logistik der Pfandrückgabe auch tatsächlich so reibungslos funktionieren wird, wie die Verantwortlichen behaupten. Ich will mir nicht vorstellen, dass ich mit einem Kofferraum voller Plastikflaschen und Blechdosen vor einem Rückgabeautomaten stehe, der mir dann sagt: ‚Leider überfüllt!‘ oder ‚Out of Order!‘“

„Tja, das würde mich auch leicht echauffieren!“, sage ich bitter. „Um nicht zu sagen, die Galle hochkommen lassen, wenn ich mit dem ganzen mühselig gesammelten Krempel wieder nach Hause fahren muss.“

„Ich habe mir die letzte Pressekonferenz von Recycling Pfand Österreich angesehen“, erzählt Kurt weiter, „in der die Geschäftsführung dieses Unternehmens, das die ganze Geschichte organisieren und mit den diversen Beteiligten aus Industrie und Handel abwickeln soll, über den Stand des Projektes berichtete. Jedes Wort klang natürlich wie immer sehr toll: Sämtliche Details wurden bedacht und alles wird laufen wie am Schnürchen. Doch wie ich schon sagte, ich bin mir da nicht so sicher … schauen wir einmal! Was mich allerdings ziemlich stutzig gemacht hat, war, dass die GFs von Recycling Pfand Österreich zwei wesentliche Journalistenfragen nicht beantwortet haben. Erstens: Auf die Frage, wieviel die Marketing-Kampagne rund um das Flaschen- bzw. Dosenpfand kostet, sagten die GFs, dass das Budget so ausgelegt sei, dass jeder Österreicher durch diese Kampagne 50-mal erreicht werde. Auch auf Nachhaken der fragenden Journalistin wurden keine konkreten Zahlen genannt.“

„Sehr interessant“, sage ich ein wenig verwundert.

„Das fand die Journalistin auch“, meint Kurt trocken. „Die zweite Journalistenfrage, die in dieser Pressekonferenz unbeantwortet blieb, war die nach den Kosten für die Einführung besagten Pfandsystems. Da haben die zwei GFs herumgedrückt und gemeint, sie wären ein privates Unternehmen, das nicht steuerlich finanziert werde und private Unternehmen würden ihre Budgets nicht öffentlich präsentieren, außerdem würde die EU die Rückgabeautomaten fördern u. s. w.“

„Klar doch!“, rufe ich. „Die EU verfügt in Brüssel über eine leistungsstarke Gelddruckmaschine und jeder Euro, der von dort kommt, fällt wie göttliches Manna vom Himmel. Dass Österreich in der EU zu den Nettozahlern gehört, wird in vergleichbaren Zusammenhängen meist nicht erwähnt.“

„Es ist mir unverständlich“, setzt Kurt fort, „dass in der Pressekonferenz keine konkreten Kosten genannt wurden, was vermutlich nicht nur mich etwas misstrauisch machte. Angeblich soll die ganze Abwicklung des Flaschen- und Dosenkreislaufes mit den Erträgen aus dem Pfandschlupf finanziert werden, also aus jenen Dosen und Flaschen, die nicht zurückgegeben werden. Aber es würde mich nicht wundern, wenn in absehbarer Zeit über eine Manipulationsgebühr geredet wird, weil das gesamte Recycling-System am Ende doch teurer als geplant ist. Und so habe ich einer plötzlichen Eingebung folgend diese 1.000 Flaschen Mineralwasser gekauft, wobei die meisten gar nicht für mich sind, sondern für meinen 80-jährigen Onkel, der inzwischen das Autofahren aufgegeben hat, weil er sich am Lenkrad nicht mehr sicher fühlt. Die Qualität des Wassers ist dort, wo er wohnt, ziemlich bescheiden, und ich helfe ihm jetzt nicht nur bei kleineren Handwerkerarbeiten, sondern auch bei diversen Besorgungen. Nun, Mineralwasser kann man sich liefern lassen, aber wie wird man die nicht Plastikflaschen, die man im Übrigen nicht mehr zusammendrücken darf, ohne Auto wieder los?“

„Das ist ein schöner Zug von dir“, sage ich, „ich meine, dass du einen älteren Menschen, der nicht mehr so mobil ist, derart gut unterstützt.“

„Was mich aber am meisten stört“, fährt Kurt fort, „ist die Tatsache, dass von der EU und unseren transatlantischen Freunden bis hin zu Japan nach wie vor Jahr für Jahr hunderttausende Tonnen Müll nach Afrika und Asien exportiert werden: Elektronikschrott, Textilmüll und weiß der Geier, was sonst noch alles! Und natürlich auch Plastik − wobei Plastik nicht Plastik ist, wie wir wissen, und sich ein Großteil gar nicht recyclen lässt, sondern vergraben oder verbrannt werden muss. Umweltverschmutzung ist ein globales Thema und ich frage mich, warum man in Österreich ein funktionierendes System mit viel Aufwand zu optimieren versucht, statt das Geld in Länder zu investieren, die in Müll regelrecht ersticken – wie Albanien in etwa, das mit 2,4 Millionen Einwohnern zu den größten Verschmutzern des Mittelmeeres gehört.“ Kurt verstummt und blickt seine Wand aus 1.000 Plastikflaschen mit prickelndem Mineralwasser an. „Schön“, sagt er schließlich, „wirklich sehr schön! Fast wie ein Kunstwerk, das mir das Gefühl gibt, einem weiteren staatlichen Zwang zumindest für eine gewisse Zeit entkommen zu sein.“

Abschied und Neubeginn

Frohe Weihnachten