©©Sabine Naumann - stock.adobe.com
in

Weshalb eine neue Niedrigzinsphase zunehmend wahrscheinlicher wird

von Michael Kordovsky

Die Zeichen mehren sich: Eine neue Niedrigzinsphase im Euroraum wird immer wahrscheinlicher. Nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) im April 2025 ihre Leitzinsen erneut gesenkt hat, sehen Ökonomen und Marktbeobachter Spielräume für weitere Schritte. Der Hauptrefinanzierungssatz liegt nun bei 2,40 %, die Einlagefazilität bei 2,25 % und der Spitzenrefinanzierungssatz bei 2,65 %. Damit hat die EZB ihre Zinssätze binnen weniger Monate zum siebten Mal gesenkt.

Rückgang der Inflation bietet Zinsspielraum

Die Inflationsentwicklung gibt der EZB Rückenwind: Im März 2025 lag die jährliche Inflationsrate im Euroraum laut Eurostat bei 2,2 %, gegenüber 2,3 % im Februar. Die Kerninflation ging ebenfalls zurück. Die EZB sieht in ihrem aktuellen Statement den Disinflationsprozess als „gut voranschreitend“ an. Der Preisauftrieb bei Dienstleistungen habe sich in den vergangenen Monaten spürbar abgeschwächt. Die meisten Maßstäbe der zugrunde liegenden Inflation deuten laut EZB darauf hin, dass sich die Preissteigerung nachhaltig im Bereich des mittelfristigen Ziels von 2 % einpendeln wird.

Konjunkturelle Abschwächung

Hinzu kommen konjunkturelle Risiken: Die EZB prognostiziert für 2025 lediglich ein Wirtschaftswachstum von 0,9 % im Euroraum. EZB-Präsidentin Christine Lagarde warnte anlässlich der IWF-Frühjahrstagung in Washington vor den Folgen der globalen Handelsspannungen, insbesondere des von US-Präsident Donald Trump angefachten Zollstreits: „Die deutliche Eskalation der weltweiten Handelsspannungen und die damit verbundenen Unsicherheiten werden das Wachstum im Euroraum wahrscheinlich durch eine Dämpfung der Exporte bremsen.“ Bereits erste Dämpfer im Wirtschaftswachstum seien spürbar.

Die Belastungen wirken auch auf die Finanzmärkte: Eine sich verschlechternde Stimmung könnte laut Lagarde zu restriktiveren Finanzierungsbedingungen führen. Unternehmen und Haushalte könnten sich bei Investitionen und Konsumausgaben zurückhalten – so Lagarde laut einem von der EZB veröffentlichten Redetext. Für den Euroraum schloss Lagarde eine weitere Überarbeitung des Wachstumsausblicks nicht aus.

Forward-Kurve signalisiert weitere Zinssenkungen

Ein Blick auf die Zinserwartungen der Märkte bestätigt diese Einschätzung: Die Forward-Kurve für den 3-Monats-Euribor ist binnen weniger Wochen im Tief um rund 25 Basispunkte gesunken. Das erwartete Tief für Februar/März 2026 liegt aktuell bei 1,69 %. Damit rechnet der Markt bereits heute mit weiteren Zinssenkungen.

Der EZB-Rat zeigt sich entschlossen, „für eine nachhaltige Stabilisierung der Inflation beim mittelfristigen Zielwert von 2 %“ zu sorgen. Dabei bleibt die Zentralbank datenabhängig: „Die Festlegung des angemessenen geldpolitischen Kurses wird von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung erfolgen“, so die offizielle Verlautbarung.

Experten erwarten, dass die EZB bei weiter schwacher Konjunktur und anhaltend niedriger Inflation die Zinsen weiter senken könnte. Gegenüber der Agentur Bloomberg sagte Finnlands Notenbankchef, Olli Rehn: „Wenn im Juni vorausgesagt wird, dass die Inflation unter unser mittelfristiges Inflationsziel von 2 % fällt, dann ist die richtige Reaktion, die Zinsen weiter zu senken“.

Christine Lagarde deutete ebenfalls an, dass der EZB-Rat flexibel bleiben werde: „In der gegenwärtigen Situation, die von außergewöhnlich hoher Unsicherheit geprägt ist, werden die Zinsbeschlüsse des EZB-Rats auf seiner Beurteilung der Inflationsaussichten vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts- und Finanzdaten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation sowie der Stärke der geldpolitischen Transmission basieren.“

Fazit: Neue Niedrigzinsphase nimmt Konturen an

Zusammengefasst deutet vieles darauf hin, dass der Euroraum vor einer neuen Niedrigzinsphase steht. Sinkende Inflationsraten, schwaches Wachstum und zusätzliche Belastungen durch den US-Zollstreit liefern der EZB-Argumente für eine weitere Lockerung der Geldpolitik. Die Finanzmärkte haben diese Perspektive bereits eingepreist. Sollten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht deutlich verbessern, könnten die Leitzinsen der EZB in den kommenden Monaten weiter sinken – womit das Kapitel Niedrigzinsen in Europa länger offenbliebe, als viele noch vor kurzem erwartet hatten.

Biometrie-Tage für Experten

Servicefreundlichster Versicherer