Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am 5. Juni 2025 zum 8. Mal seit Beginn des großen Inflationszyklus die Leitzinsen gesenkt – ein Schritt, den die Euriborsätze bereits eingepreist haben. Der Zinssatz für die Einlagefazilität wurde um 25 Basispunkte auf 2,00 % gesenkt, der Hauptrefinanzierungssatz liegt nun bei 2,15 %, der Spitzenrefinanzierungssatz bei 2,40 %. Damit reagiert die EZB auf die inzwischen deutlich gesunkenen Inflationsraten und einen zunehmend fragilen Konjunkturausblick.
Inflation: Annäherung an das Ziel von nachhaltig 2 %
EZB-Präsidentin Christine Lagarde sieht den aktuellen geldpolitischen Schritt durch eine „aktualisierte Beurteilung der Inflationsaussichten“ gerechtfertigt. Die jährliche Teuerung im Euroraum sank im Mai auf 1,9 %, nachdem sie im April noch bei 2,2 % lag. Besonders bemerkenswert: Die Dienstleistungsinflation fiel von 4,0 % auf 3,2 %, die Energiepreise blieben mit -3,6 % weiter rückläufig, Nahrungsmittel verteuerten sich leicht auf 3,3 %.
Mit den neuen Projektionen rechnet das Eurosystem für 2025 mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 2,0 %, für 2026 mit 1,6 % und für 2027 mit 2,0 %. Im Vergleich zur März-Prognose wurden die Erwartungen für 2025 und 2026 jeweils um 0,3 Prozentpunkte nach unten revidiert, vor allem wegen der Annahme niedrigerer Energiepreise und eines stärkeren Euro. Die Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) soll 2025 bei 2,4 % liegen, 2026 und 2027 dann bei jeweils 1,9 %. Der EZB-Indikator für Lohnentwicklung signalisiert für 2025 eine Mäßigung. Den Projektionen zufolge dürfte sich das Lohnwachstum 2026 und 2027 auf unter 3 % abschwächen.
Lagardes Perspektive: Konjunktur stabil, Risiken hoch
Lagarde betonte in ihrer Pressekonferenz, dass die Konjunkturerwartungen für 2025 trotz eines unerwartet starken ersten Quartals insgesamt verhalten bleiben: Das BIP-Wachstum wird für 2025 auf 0,9 %, für 2026 auf 1,1 % und für 2027 auf 1,3 % prognostiziert. Schwache Unternehmensinvestitionen und eine abkühlende Exportdynamik – nicht zuletzt durch anhaltende Handelsspannungen USA vs. EU – bremsen die Dynamik. Dennoch sollen steigende öffentliche Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur über stabile Realeinkommen und einen robusten Arbeitsmarkt die Wirtschaft mittelfristig stützen.
Der private Konsum dürfte nach Meinung der EZB von der Verbesserung der Realeinkommen profitieren. Die Kreditkonditionen lockern sich langsam: Der durchschnittliche Zinssatz für Unternehmenskredite sank im April auf 3,8 % (März: 3,9 %). Immobilienkredite liegen stabil bei 3,3 %. Das Wachstum der Bankkreditvergabe an Unternehmen zog leicht auf 2,6 % an, während das Wachstum der Immobilienkredite bei 1,9 % lag.
Handlungsspielraum und weitere Entwicklung
EZB-Präsidentin Lagarde sieht sich und den EZB-Rat nicht auf einen vorgezeichneten Zinspfad festgelegt. Die Geldpolitik soll von Sitzung zu Sitzung an die Datenlage angepasst werden. Besonders betont sie die hohe Unsicherheit, vor allem durch geopolitische Risiken (Ukraine-Krieg, Nahost, Handelskonflikte) und mögliche weitere externe Schocks.
Das Inflationsziel von 2 % bleibt zentrales Leitmotiv. Sollte sich die Lage unerwartet verschlechtern, sei der EZB-Rat bereit, alle geldpolitischen Instrumente flexibel einzusetzen. Dies gilt auch für das Transmission Protection Instrument (TPI), um die Funktionsfähigkeit der Geldpolitik zu gewährleisten.
Expertenmeinungen: EZB-Leitzins in „günstiger Zone“, aber Vorsicht angebracht
Die Analysten zeigten sich wenig überrascht von der Zinssenkung, hatten diese bereits weitgehend erwartet. Viele Experten, darunter Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau und der kroatische Zentralbankchef Boris Vujcic, betonen, dass sich die EZB in einer „günstigen Zone“ befindet. Zugleich rät Vujcic dazu, vor einem weiteren Zinsschritt die neuen Konjunkturprognosen der EZB im September abzuwarten.
Fazit: Die EZB hat mit ihrer Zinssenkung ein Signal der Entspannung, aber auch der Vorsicht gesetzt. Die Inflationsrate nähert sich dem Ziel, doch die Unsicherheiten bleiben groß. Die Konjunktur im Euroraum bleibt anfällig, externe Risiken und die zukünftige Lohnentwicklung müssen genau beobachtet werden. Die nächsten Monate werden zeigen, ob die geldpolitische Lockerung den gewünschten Impuls für Wachstum unter gleichzeitiger Wahrung der Preisstabilität gibt oder ob weitere externe Schocks den Kurs erneut infrage stelle