Die Finanzwelt steht heute unter einem Regime beispielloser Regulierung. Mit der MiFID II, der EU-Taxonomie-Verordnung, der Offenlegungsverordnung und nun auch dem Verbot des Payment for Order Flow hat Brüssel ein dichtes Regelwerk geschaffen, das jeden Schritt im Anlageprozess dokumentationspflichtig macht und auf den ersten Blick zu höheren Kosten und niedrigerer Rentabilität führt.
Was als Schutz für Anleger gedacht war, hat sich längst zu einer administrativen Mammutaufgabe entwickelt. Ein Kunde, der beim Finanzberater lediglich einen Fonds vermittelt bekommt, arbeitet sich durch ESG-Fragebögen von bis zu 50 Seiten und Dutzende Formulare, während Berater Stunden mit Protokollen verbringen, die kaum jemand liest.
Diese Überbürokratisierung steht symptomatisch für einen gesellschaftlichen Wandel. In den 1980er- und 1990er-Jahren herrschte noch eine andere Wirtschaftsmentalität. Wer ehrgeizig, durchsetzungsstark und notfalls skrupellos war, konnte Karriere machen – unabhängig davon, ob jede Rechnung, jeder Nebenertrag und jede Geschäftsreise bis ins Detail kontrolliert wurde. Beziehungen, Mut und Instinkt entschieden über Erfolg oder Misserfolg.
Heute dagegen regiert die totale Nachvollziehbarkeit. Jede Entscheidung wird geprüft, jede Kommunikation kann aufgezeichnet werden.
Verstöße gegen Verhaltensnormen, die früher als „beruflicher Raufton“ galten, führen heute zu arbeitsrechtlichen Verfahren. Wo früher ein lautstarker Chef als durchsetzungsstark galt, steht heute die Anschuldigung des Mobbings im Raum. Wo ein Kompliment einst als charmant empfunden wurde, kann es heute zur gerichtlichen Causa werden.
Dieser Wandel hat zwei Seiten. Einerseits schützt er die Schwächeren, sorgt für mehr Fairness, Gleichstellung und Transparenz. Andererseits aber hat er das System entmenschlicht. Angst vor Fehlern und Reputationsverlust ersetzt Mut und unternehmerische Intuition. Aus einer Ökonomie des Handelns wurde eine Ökonomie der Rechtfertigung.
Ehrlichkeit als Wettbewerbsfaktor
Doch gerade in dieser neuen Ordnung entsteht eine neue Form von Wettbewerbsvorteil: Ehrlichkeit.
Integrität ist heute der entscheidende Erfolgsfaktor. Wer integer, offen und überprüfbar handelt, braucht keine Angst vor der Dauerüberwachung des Systems zu haben.
Diese neue „Ehrlichkeitsökonomie“ ist mehr als eine moralische Forderung – sie ist ökonomisch vernünftig. Denn Vertrauen wird zur härtesten Währung einer Zeit, in der alles sichtbar ist.
Unternehmen, die sich transparent positionieren, Werte leben und Fairness nachweislich praktizieren, gewinnen das Vertrauen von Kunden, Investoren und Regulatoren. Sie müssen keine Angst vor Whistleblowern, Compliance-Audits oder Shitstorms haben.
In diesem Umfeld überlebt nicht mehr der Rücksichtslose, sondern der Authentische.
Die Zeit der Halbwahrheiten, der kleinen Geschenke und der informellen Absprachen ist vorbei. Wer heute langfristig bestehen will, muss seine Marke, seine Bilanz und seine Überzeugungen deckungsgleich führen. Das ist keine Schwäche, sondern die neue Form der Stärke.
Fazit: Die Zukunft gehört jenen, die nichts zu verbergen haben – und alles richtig machen, auch wenn niemand zusieht.






