Die neuen Ökosysteme sind eine Chance für Versicherungsvermittler. Dies bedarf jedoch auch den Mut, neue Wege einzuschlagen. Ungeachtet dessen stellt die Vernetzung in den Ökosystemen auch eine Gefahr für den Datenschutz dar. Chancen und Gefahren von Ökosystemen diskutierten beim 11. AFPA Marktdialog Experten aus dem Bereich der Versicherungen und Datenschutz.
Der Preis der Bequemlichkeit für die Nutzer von Ökosystemen im Netz ist hoch. Mag. Birgit von Maurnböck, Datenschutzexpertin und Geschäftsführerin bei VMCON, spricht dabei in ihrem Vortrag vom Privacy Paradoxon. Nutzer teilen gerne persönliche Informationen, obwohl sie sich gleichzeitig Sorgen um ihre Privatsphäre machen. „Wir haben die Aufgabe, den Nutzern der Systeme klarzumachen, welche Datenspuren sie hinterlassen und wie das Unternehmen oder die Ökosysteme mit diesen Daten umgehen. Es gehe um Transparenz: Der Kunde muss wissen, welche seiner Daten wie verarbeitet werden. Welche Daten weitergegeben und von welchem Unternehmen diese Daten genutzt werden. Dafür wird es eine technische Lösung brauchen. Es liest niemand die Datenschutzerklärung, sondern jeder setzt das Hakerl.“ Die Lösung ist für von Maurnböck daher, die Datenschutzerklärung in bildlicher Form zu präsentieren, also in Form eines Piktogramms. „Es muss so einfach wie möglich dargestellt werden, weil die Datenschutzerklärung nicht gelesen wird.“ Sie fordert von den Unternehmen, dass nicht nur Mitarbeiter an den Datenschutzschulungen teilnehmen, sondern auch die Geschäftsführung. „Datenschutz sollte Top-Down im Unternehmen gelebt werden.“ Für Unternehmen gilt es, die Rollen in einem Ökosystem zu definieren und dementsprechende Verträge abzuschließen.
Mag.Gabriele Zgubic, Leiterin der Abteilung Konsumentenpolitik in der Arbeiterkammer, kritisiert die Datenschutzerklärungen der Unternehmen als unverständlich und intransparent. „Wo die Daten schlussendlich landen, weiß man nicht.“ Bei der Open Finance Strategie der Europäischen Kommission, die beabsichtigt, einen Rahmen für den Datenaustausch zwischen Unternehmen im Finanzwesen zu schaffen und den Datenaustausch sowie den Zugang Dritter zu persönlichen Finanzdaten zu ermöglichen, spielen die Einwilligungen jedoch eine große Rolle, so Zgubic. „Dabei wird es darauf ankommen, wie die Einwilligungserklärungen aussehen.“ Das EU-Transparentgebot ist sehr streng und daher werden solche Klauseln schnell fallen, glaubt Zgubic. Jedoch kritisiert sie, dass viele Datenschutzgesetze, wie z.B. der Data Act oder der Gesundheitsdatenraum nicht mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) abgestimmt sind. „Es gibt keine einheitlichen Fristen, kein einheitliches Regelwerk und Standards und auch die Behördenzuständigkeit ist fraglich. Gerade bei grenzüberschreitenden Fällen führt dies zu Problemen und Verfahren dauern Jahre. Es braucht ein einheitliches Regelwerk, sonst hat der Konsument zwar ein theoretisches Recht auf seine Daten, aber praktisch hat er nichts davon.“ Auch der Schutz vor Ausgrenzung von einem Ökosystem muss gewährleistet werden, so Zgubic weiter. Dazu zählt z.B. die Möglichkeit auch offline Geschäfte tätigen zu können, was gerade für ältere Personen von Bedeutung ist. Aber auch die Open Finance Initiative der EU kann zu Ausgrenzungen führen. Bekommt man noch ein Handy, wenn man schlechte Bonitätsdaten hat, fragt sie. „Letztendlich sind wir alle verletzliche Verbraucher in der digitalen Welt.“ Auch das Dreiecksverhältnis im Netz zwischen Anbieter, Vermittler und Konsument ist ein Problem. So wird von Seiten des Anbieters immer wieder erklärt, man habe über einen Vermittler gebucht und daher solle man sich an diesen wenden. „Es wird immer schwieriger, eine Antwort auf das Kundenproblem zu bekommen.“
Frank Genheimer, Geschäftsführer von New Insurance Business, erklärt, dass es bei den Ökosystemen darum geht, die Menschen in der Lebenswelt abzuholen und zu beglücken. Dabei ergeben sich neue Möglichkeiten des Vertriebs. Der potenzielle Kunde ist den ganzen Tag in verschiedenen Lebenswelten, ob das nun als Elternteil, als Hobbysportler oder im Beruf ist. „In diesen Lebenswelten kann ein Finanzdienstleister seine Produkte anbieten“, so Genheimer. Die Finanzdienstleister brauchen ein Bewusstsein für die neuen Welten, Denkweisen und Technologien. Dabei ist die größte Herausforderung die natürliche Gravitation eines Unternehmens hin zum Status quo. Das bedeutet Innovationen und neue Chancen aus dem Inneren des Unternehmens werden immer zum Status quo hingezogen. „Diese Gravitation muss man überwinden, um im Ökosystem mitspielen zu können.
Markus Spellmeyer, Vorstandsmitglied der Merkur Versicherung, erklärt in seinem kurzen Vortrag, dass die Merkur Versicherung bereits vor 30 Jahren das erste Ökosystem mit Merkur Lifestyle in Kooperation mit Masseuren, Physiotherapeuten usw. entwickelte. Ein Ökosystem bietet für Kunden und Vertrieb eine Wertschöpfung, die das Versicherungsprodukt als Mehrwert spürbar macht. „Wir müssen mehr sein als eine Versicherung.“ Die Versicherung sollte ein Wegbegleiter sein, „von der Wiege bis zur Bahre“. Daher hat sich auch die Merkur Versicherung mit einem siebenstelligen Investment an dem Bestattungsunternehmen Benu beteiligt. „Wir sind dafür belächelt worden. Aber die strategische Ausrichtung als Spezialist in der Personenversicherung runden wir damit ab.“ Auf Trends wie z.B. dem ambulanten Tarif (30 Prozent Wachstum in jeder Vertriebsschiene) und Online-Produkte reagiert die Versicherung beispielsweise mit Skin-Screener, der mit hoher Wahrscheinlichkeit Hautkrebs entdeckt. Die neuen Ökosysteme sind jedenfalls keine Büchse der Pandora. „Diese stehen eher vom Aufsichtsrecht auf dem Schreibtisch.“
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