Ein Kommentar, anlässlich der EZB Pressekonferenz am 17.Oktober in Ljubljana (Slowenien).
Die Rezession der Industrie im Euroraum hat sich zuletzt verschärft und mittlerweile zeigte auch der Service-Sektor Abschwächungstendenzen, sodass im September der HCOB Eurozone Composite PMI Output Index von S&P Global – ein Aktivitätsindikator der Privatwirtschaft – erstmals seit Februar wieder in den Kontraktionsbereich zurückfiel. Das wirkt disinflationär, vor allem über die Preise für Industriegüter ohne Energie, die im HVPI der Eurozone mit 25,73 % gewichtet sind. Am Tag der Leitzinssenkung veröffentlichte EuroStat die zweite Inflationsschätzung für September. Die erste Schätzung wurde von 1,8 auf 1,7 % (Euroraum) nach unten revidiert. Von August auf September war nun die Teuerung der Dienstleistungen nicht wie ursprünglich erwartet von 4,1 auf 4,0 % sondern auf 3,9 % rückläufig und auch die Energiepreiskomponente beschleunigte ihren Preisrückgang stärker als zuvor berechnet. Diese disinflationären Entwicklungen verliehen der EZB den Spielraum zu einer weiteren Leitzinssenkung um 25 Basispunkte auf 3,25 % im Einlagezins und jeweils 3,40 bzw. 3,65 % im Hauptrefinanzierungssatz und im Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität. Die Entscheidung hat der EZB-Rat einstimmig getroffen. Diese Leitzinssenkung haben die Märkte bereits im Vorfeld eingepreist. Der 3-Monats-Euribor ist beispielsweise bis 16. Oktober auf 3,208 % gesunken.
Auf gutem Weg, die Inflation endgültig zu besiegen
Dieser Beschluss beruht auf einer aktualisierten Beurteilung der Inflationsaussichten, der Dynamik der zugrundeliegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission. O-Ton von EZB-Chefin, Christine Lagarde, in der Pressekonferenz nach der Leitzinsentscheidung: „Die eingehenden Informationen über die Inflation zeigen, dass der Disinflationsprozess auf gutem Wege ist. Die Inflationsaussichten werden auch durch die jüngsten negativen Überraschungen bei den Indikatoren für die Wirtschaftstätigkeit beeinträchtigt. Unterdessen bleiben die Finanzierungsbedingungen restriktiv.“ Abgesehen von zwischenzeitlichen Basiseffekten bei den Energiepreisen, die in den kommenden Monaten wieder zu einem Inflationsanstieg führen können, sollte die Teuerung im weiteren Verlauf 2025 wieder auf den Zielwert von 2 % zurückgehen – so die Meinung des EZB-Rats. Begründet hat Lagarde dies damit, dass der Disinflationierungsprozess durch den nachlassenden Druck auf die Arbeitskosten und die allmählich auf die Verbraucherpreise durchschlagende Straffung der Geldpolitik unterstützt werden dürfte.
Auf Fragen nach Zinsausblicken verwies Lagarde während der Pressekonferenz auf einen datenabhängigen, aber nicht datenpunktabhängigen Ansatz. Es geht hier nicht um bestimmte Stellen nach dem Komma einzelner Parameter, sondern darum, dass das Inflationsziel von 2 % nachhaltig erreicht wird. Um diese „Nachhaltigkeit“ festzustellen, werden diverse Größen der Teuerung in Kombination mit Konjunkturparametern verfolgt. In diesem Zusammenhang verwies Lagarde auch in dieser Pressekonferenz wiederholt (sinngemäß übersetzt) auf folgendes offizielles Leitzins-Ausblick-Statement: „Wir werden weiterhin einen datenabhängigen Ansatz von Sitzung zu Sitzung verfolgen, um die angemessene Höhe und Dauer der Restriktion zu bestimmen. Insbesondere basieren unsere Zinsentscheidungen auf unserer Einschätzung der Inflationsaussichten vor dem Hintergrund der eingehenden Wirtschafts- und Finanzdaten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission. Wir legen uns nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest“.
Interessante Anmerkungen
Im Zusammenhang mit der Beantwortung einer Journalistenfrage wies Lagarde darauf hin dass in punkto Inflation das Abweichungsrisiko nach unten größer ist als jenes nach oben. Inflationspotenziale nach oben hingegen bergen ein eskalierender Nahost-Konflikt (Ölschock-Gefahr) und greifende Konjunkturprogramme in China. Dazu Lagarde im Zuge der Beantwortung einer Reporter-Frage: „Was in China passieren wird, welche Art von Stimulierungsmaßnahmen ergriffen werden, mit allen Details, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erwartet werden, wird auch ein Hinweis auf die Nachfrage sein, die China an den Ölmarkt richtet, und auf die Auswirkungen, die dies auf den Preis eines solchen Rohstoffs haben wird. Wir betrachten all diese Komponenten und konzentrieren uns natürlich auf die wirtschaftlichen Folgen und die Auswirkungen, die sie auf die Inflation haben könnten und natürlich auf die Aktivität in dem Maße, wie sie die Inflation beeinflusst“.
Eine besonders relevante Journalistenfrage bezog sich darauf, ob die Inflation bereits besiegt ist. Dazu der O-Ton von Christine Lagarde sinngemäß übersetzt: „Haben wir der Inflation das Genick gebrochen? Noch nicht. Sind wir dabei, dieses Genick zu brechen? Ja. Ich war vor ein paar Tagen auf dem Markt in Ljubljana, um mich über die Preise zu informieren, denn ich fahre regelmäßig nach Ljubljana, wenn ich kann. Die Lebensmittelpreise steigen in der Eurozone im Durchschnitt immer noch um 2,4 %. Und das sind nicht die 2 %, die wir wollen. Wir liegen immer noch deutlich über den Zielvorgaben, und es ist ein Bereich, zusammen mit den Energiepreisen, auf den die Verbraucher sehr empfindlich reagieren, der Einfluss darauf hat, was sie tun, ob sie konsumieren, ob sie sparen, was sehr wichtig ist. Wir sind also äußerst aufmerksam. Wir wissen, dass vor allem die Lebensmittelpreise sehr empfindlich sind, und wir wissen, dass wir an dieser Front noch nicht am Ziel sind. Aber brechen wir der Sache das Genick? Ja, ich denke schon. Es ist noch nicht ganz durchbrochen, aber wir kommen dem Ziel Näher“.
Conclusio des Autors: Es bestehen für die kommenden Sitzungen des EZB-Rats weitere Zinssenkungsspielräume. Doch gewisse Restrisiken der Teuerung erlauben im Dezember keinen 0,5 PP-Zinssenkungsschritt (wird bereits vereinzelt gefordert) sondern wie bisher einen weiteren „Trippelschritt“ von 0,25 PP.