Jedes Finanzinstitut, das etwas auf sich hält, hat bereits seine Prognosen für 2025 präsentiert. Dabei zeigt sich häufig ein breiter Konsens: Die Erwartungen zu Wirtschaftswachstum, Zinsentwicklung und Inflation bewegen sich meist innerhalb eines engen Rahmens. Eine Meinung, die sich erfrischend vom Mainstream abhebt, sucht man dabei oft vergeblich. Die Tendenz, Prognosen in Richtung der Mitte zu formulieren, wird in der Wissenschaft als Konvergenz zur Mitte bezeichnet. Institutionen, die wirtschaftliche Vorhersagen erstellen, agieren in der Regel risikoavers. Ein Beispiel ist der Goldpreis: Zu jeder Zeit gibt es ebenso viele Argumente für einen Preisanstieg wie dagegen. Es wäre einfach, eine von der Mehrheitsmeinung abweichende Marktmeinung zu vertreten. Doch stellt sich die Frage, ob dies für eine Institution rational wäre. Extrempositionen erfordern oft detaillierte Argumente und Begründungen, was einen höheren intellektuellen und personellen Aufwand bedeutet. Der Nutzen einer abweichenden Marktmeinung bleibt dabei fraglich, vor allem dann, wenn die Prognose nicht eintrifft. Eine mutige Fehleinschätzung könnte die Glaubwürdigkeit und Reputation des Instituts nachhaltig schädigen. Im Gegensatz dazu sind die Kosten bei einer Fehleinschätzung im Einklang mit der Mehrheit gering. Wenn man sich der Konsensmeinung anschließt, kann das Versagen leicht auf die „Unvorhersehbarkeit“ des Marktes geschoben werden – was letztlich die Sinnhaftigkeit von Prognosen im Allgemeinen infrage stellt. Für risikoaverse Institute ist die Tendenz zur Mitte also rational. Prognosen dienen dabei als Marketinginstrument und sind dadurch oft austauschbar. Was für einzelne Institutionen vernünftig erscheint, kann im größeren Kontext schädliche Folgen haben. Die blinde Orientierung am Mainstream bedeutet auch, Gefahren zu übersehen. Wenn alle Marktteilnehmer ähnliche Prognosen machen, entsteht eine kollektive Blindheit gegenüber alternativen Szenarien. Der Hang zu konservativen Prognosen kann systemische Risiken verstärken, da sich viele Marktteilnehmer auf Konsensprognosen verlassen und darauf ihre Strategien aufbauen. Diese Dynamik kann spekulative Blasen erzeugen, die später platzen. Ein prominentes Beispiel ist die Immobilienblase in den USA, deren Platzen 2007/08 eine globale Finanzkrise auslöste. Dieses Desaster war auch ein Versagen des Konsenssystems der Finanzexperten, die die Risiken im Subprime-Sektor unterschätzten.
Die Profiteure
Es gibt jedoch Akteure, die gezielt nach solchen blinden Flecken im Konsens suchen: Hedgefonds. Aufgrund ihres Geschäftsmodells setzen sie auf abweichende Meinungen und versuchen, aus den Fehlern der Mainstream-Meinung Kapital zu schlagen. Ein Beispiel ist die Nutzung von Credit Default Swaps (CDS), wie sie Hedgefondsmanager Michael Burry oder John Paulson 2007 einsetzten. Sie erkannten frühzeitig, dass der Konsens die Risiken am US-Immobilienmarkt unterschätzte, und kauften unterbewertete Ausfallsversicherungen auf hypothekenbasierte Wertpapiere. Die Banken, bei denen sie die CDS kauften, hielten den Hypothekenmarkt für stabil. Die Hedgefondsmanager hingegen spekulierten im Verborgenen auf einen Zusammenbruch – mit Erfolg. Als die Immobilienblase platzte, erzielten sie Milliardengewinne. Hedgefonds, die von der Mainstream-Meinung abweichen, gehen auch sehr oft Short-Positionen ein, d.h. sie spekulieren auf fallende Kurse. Dafür leihen sie sich das fragliche Wertpapier von einem Broker oder einer Bank, verkaufen dieses, um es später wieder zu geringerem Preis zurückzukaufen und es dem Verleiher wieder zurückzugeben. Ein Beispiel dafür ist George Soros, der 1992 die Überbewertung des britischen Pfunds erkannte. Soros spekulierte auf eine Abwertung, indem er massive Short-Positionen einging. Seine Wetten verstärkten den Druck auf die Bank of England, die schließlich ihre Bemühungen aufgab, das Pfund zu stützen. Am „Schwarzen Mittwoch“ verlor das Pfund 15 Prozent gegenüber der Deutschen Mark und 25 Prozent gegenüber dem US-Dollar.
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