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Über Batman im Wohnzimmer, E.T.A. Hoffmanns Kater Murr und den Mythos von Sisyphos

von Thomas Beckstedt

Kurt und ich treffen uns zufällig im lokalen Baumarkt. Er wollte eine Abdeckung für seine Regentonne kaufen (die es aber hier nicht gibt und auch nicht bestellbar ist), während ich auf der Suche nach einer Schraube für meine Spüle war (die ebenfalls nicht lagernd ist und natürlich auch nicht bestellt werden kann).

„Hallo!“ – „Hallo!“ − „Na, wie war dein Wochenende?“, frage ich Kurt.

„An sich recht entspannend“, erwidert er. „Lediglich Sonntagabend, ich war schon am Eindämmern vor dem Fernseher, begann es plötzlich im Wohnzimmer zu rumpeln.“

„Was war geschehen?“

„Wie du weißt teile ich mein Haus mit zwei Katzen“, sagt Kurt. „Auri ist eine ältere, eher ruhige Katzendame und dann gibt es noch einen jungen Dynamiker, den ich Tiger getauft habe − und Tiger, mein genialer Super-Kater, war wieder einmal auf Jagdsafari und hat mir die lebende Beute stolz mitgebracht.“

„Eine Maus?“

„Nein, keine Maus und auch keinen Vogel: Es war eine Fledermaus!“

„Ehrlich?“

„Ja, eine Fledermaus. Nicht seine erste! Aber jedes Mal konnte ich die Fledermaus retten. Die vorerst letzte habe ich mit bloßen Händen vom Vorhang gepflückt und in die Freiheit entlassen. Ein gutes Erlebnis! Ich dachte immer, Fledermäuse fühlen sich kühl und ledrig an, aber das ist vollkommener Unsinn. Liegt wahrscheinlich an den diversen Batman-Filmen, in denen sich die Schauspieler mit Leder-, Gummi- oder was auch immer Kostümen verkleiden. Nein, Fledermäuse haben ein seidiges Fell und ihr Körper ist ganz warm. Ich spürte das Herz in meinen Händen schlagen. Ich war sehr glücklich, als ich sie in die Dunkelheit fliegen ließ. Letzten Sonntag jedoch war die Fledermaus so aufgescheucht, dass sie sich nicht ausrasten wollte und ist geflattert und geflattert. Tiger hat interessiert zugesehen. Also Terassentür und Fenster auf, in der Hoffnung, dass sie den Weg nach draußen findet. Aber das hat nicht geklappt. Also habe ich den Kescher geholt, mit dem ich im Sommer Blätter aus meinem aufblasbaren Pool fische und tatsächlich, nach dem zwanzigsten Versuch in etwa gelang es mir, die Fledermaus durch das Fenster ins Freie zu bugsieren.“

Darauf ich: „Es würde mich ehrlich interessieren, was sich so eine Katze denkt, wenn sie beobachtet, wie ihr Herrchen durch das Zimmer springt und versucht, Batman zu retten.“

„Ein gute Frage“, meint Kurt, während wir ziellos durch den Baumarkt schlendern, „die mich an besagtem Abend auch ernsthaft beschäftigt hat. Ich habe den Fernseher abgeschaltet und fast zwei Stunden im Roman Lebensansichten des Kater Murr von E.T.A. Hoffmann geblättert, um etwas über die Gedankenwelt von Katzen zu erfahren, aber der Roman-Kater Murr lernt lesen und schreiben und verfasst wissenschaftliche Abhandlungen. So schlau ist mein Tiger nicht. Ich meine, er ist schon schlau und auch ziemlich abgedreht, aber eher wie Gangster es halt sind.“

Ich muss lachen und stimme zu. „Ja, Katzen können ganz schön fixe Gauner sein.“

„Am nächsten Morgen“, erzählt Kurt weiter, „als mich mein Wecker zur Arbeit rief, kam mir ein Gedanke, den vermutlich alle Katzenbesitzer schon des Öfteren gewälzt haben. Draußen war es noch dunkel, der Wind blies und es regnete – und als ich meine zwei Katzen gemütlich eingerollt in meinem Bett erblickte, wünschte ich mir, eine Katze zu sein.“

„Kommt mir bekannt vor“, ich nicke. „Diesen Wunsch hatte ich auch schon oft.“

„Weißt du“, fährt Kurt fort, „lange Zeit ging ich gern ins Büro und mochte meine Arbeit, aber inzwischen ist alles furchtbar mühselig geworden. Laufend klinken sie in der Zentrale irgendwelche neue Ideen aus, deren Sinn sich mir oft nicht erschließt, und was heute noch richtig und wichtig ist, kann morgen schon Schnee von gestern sein …“ Kurt bringt ein paar anschauliche Beispiele, um das Gesagte zu illustrieren. „Irgendwie komme ich manchmal vor wie Sisyphos. Du kennst doch Sisyphos, oder?“

„Klar doch. Das ist dieser Typ in der griechischen Mythologie, der die Götter verärgert und deshalb hart bestraft wird. Tag für Tag muss er einen schweren Felsblock einen Berg hinauf wälzen, wo der Felsen kurz vor dem Gipfel wieder ins Tal rollt und die ganze Schinderei beginnt von neuem. Albert Camus hat übrigens eine bemerkenswerte philosophische Abhandlung mit dem Titel Der Mythos von Sisyphos geschrieben.“

Kurt lächelt: „Du wirst staunen, aber genau dieses Buch lese ich gerade während der Arbeit, ich meine während der Mittagspause, denn während der Arbeit ist kaum noch Zeit, in den Waschraum zu gehen. Camus′ Buch, in dem er über das Absurde des menschlichen Daseins philosophiert, ist hoch interessant. Besonders bemerkenswert finde ich das Kapitel über Sisyphos, den Held des Absurden, wie Camus ihn nennt. Interessant ist auch die Frage, was Sisyphos, denkt, während er zu seinem Stein zurückkehrt. Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann, schreibt Camus und am Ende kommt er zum Schluss, dass wir uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen müssen.“

Kapitaldeckung statt Schulden

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