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Inflationsdekade durch Ende der Globalisierung?

von Michael Kordovsky

Nachdem sich im Euroraum die Inflationsrate im März von 5,9 auf 7,5 Prozent beschleunigte und bereits vier Euroländer zweistellige Inflationsraten aufweisen herrscht regelrechte Panik. Waren es zuvor Lieferkettenunterbrechungen infolge von Pandemie-Bekämpfungsmaßnahmen so sorgt nun der Ukraine-Krieg für noch weitaus größere Verunsicherung. Massive Leitzinsanhebungen zur Inflationsbekämpfung werden erwartet, während Hedgefonds-Manager Pierre Anduran bereits heuer einen Ölpreis von 200 USD/Barrel für realistisch hält, ein Preisziel, das in den Medien immer wieder genannt wird. Der Ausbruch des Ukrainekriegs gilt als negatives disruptives Ereignis in der Globalisierung. Anhaltende Wirtschaftssanktionen könnten eine längere Teuerungsperiode einleiten. Doch für welches Inflationsszenario sprechen die aktuellen Fakten und Entwicklungen wirklich?

Die US-Inflationsrate erreichte im Februar 2022 mit 7,9 Prozent bereits den höchsten Stand seit Jänner 1982, während die Eurozone mit 7,5 Prozent Rekordinflation im März für Schlagzeilen sorgt. Es ist nämlich die mit 10,93 Prozent im HVPI gewichtete Energiepreiskomponente um 44,7 Prozent gestiegen (Vormonat auf Jahresbasis um 32%).
Die zweitgrößte Verteuerung gab es bei unverarbeiteten Lebensmitteln mit 7,8 Prozent. Diese sind aber im HVPI nur knapp 5 Prozent gewichtet. Ohne Energie und unverarbeitete Lebensmittel läge die Inflationsrate lediglich bei 3,2 Prozent. Was allerdings in Österreich auffällt, ist die Teuerung der am Miniwarenkorb gemessenen wöchentlichen Einkäufe im Supermarkt: Von November 2021 bis Februar 2022 bewegte sich seine Jahresteuerung zwischen 8,8 Prozent (Jänner 22) und 10,0 Prozent (November 21). Die Mietpreise stiegen in Österreich im Schnitt von 2016 bis April 2022 bei 30m2 Wohnungen von 11,81 auf 13,77 EUR/m2, also in rund sechs Jahren um 16,6 Prozent. Hier ist der Druck nicht so groß, zumal wegen Covid 19 die Index-Anpassung der Richtwert- und Kategoriemietzinsen sogar um ein Jahr hinausgezögert wurden. Von einer Teuerung auf breiter Front sind wir noch etwas entfernt. Es ist vielmehr die selektive Preiswahrnehmung, die die gefühlte Inflation bestimmt. Tankstelle und Supermarkt sind alltägliche Angelegenheiten, wobei Energie, Treibstoffe, Mehl, Weizen und Speiseöl besonders sensible Produkte sind. Aufgrund von Ernteausfällen und mangelnden Transportmöglichkeiten kann die Ukraine als wichtiges Weizenanbaugebiet und Anbaugebiet von Sonnenblumen nicht liefern. Das verteuert die Preise für Weizen und Sonnenblumenöl und trifft vor allem afrikanische Entwicklungsländer. Die EU kann dies jedoch gut verschmerzen. Anders ist der Import von russischem Erdöl und Erdgas zu beurteilen:

Gefährliche Abhängigkeit von Russland

Der Bezug von 40 Prozent des benötigten EU-Erdgases aus Russland (Österreich sogar 80%) deutet auf gefährliche Abhängigkeitsverhältnisse hin. Doch die Ersatzlieferung von Flüssiggas aus Australien, den USA und Katar ist ein teures Unterfangen und vor allem unter ESG-Aspekten wäre die Gewinnung des amerikanischen „Fracking-Gases“ kritisch zu hinterfragen. Doch Russland ist gegen Bezahlung in Rubel nach wie vor bereit, Erdgas nach Europa zu liefern. Also herrscht nur eine herbeigeredete Erdgasknappheit aber keine tatsächliche vor. Durch Sanktionen könnten ca. 4 Mio. Barrel Öl aus russischer Lieferung wegfallen, von denen die Golfstaaten ca. 1,5 Mio. Barrel ersetzen könnten. Die restliche Differenz bedeutet einen Aufbrauch strategischer Reserven und/oder Rationierung des Verbrauchs durch beispielsweise Auto-freie Tage und Einschränkungen des Flug- und Schiffverkehrs. Wegen Ernteausfälle und beschränkter Logistik kann es sogar zur Rationierung einzelner Waren wie z.B. Mehl und Sonnenblumenöl in den Supermärkten kommen. Mittlerweile rechnen Experten im schlimmsten Fall sogar mit zweistelligen Inflationsraten im Euroraum und unter optimalen Bedingungen im Peak mit Größenordnungen unter 8 Prozent.

Mögliche Szenarien

Wie lange das inflationäre Umfeld anhält, lässt sich aufgrund geopolitischer Unwägbarkeiten nicht prognostizieren. Ein Teil der geopolitischen Risiken sind den schwer vorhersehbaren Entscheidungen aus dem Kreml zuzuschreiben, ein weiterer liegt im Verhalten Chinas im Taiwan-Konflikt. Ein dritter Faktor ist die Pandemie. Es besteht nämlich das Risiko, dass auf Corona ein neuer hochansteckender Virus folgt und weitere Lockdowns erforderlich sind. Mainstream Annahme in Bezug auf Inflation: Das Ende der Globalisierung wie wir sie kennen ist mit wesentlich höheren Kosten verbunden. Inflationsraten werden über langjährige Zeiträume überdurchschnittlich hoch ausfallen und es droht – ähnlich wie in den 70er-Jahren – eine Zeit der Stagflation (wirtschaftliche Stagnation in Kombination mit hoher Inflation).

Eher für eine längere inflationäre Phase sprechen:

Ein neuer Kalter Krieg: Die 70er-Jahre prägten allerdings völlig andere geopolitische Rahmenbedingungen als heute. Es herrschte der Kalte Krieg vor – ein regelbasiertes Machtspiel mit Atomkriegs-Absicherungsmechanismen auf beiden Seiten. Heute hingegen ist die geopolitische Lage von den Launen einer handvoll mächtiger autokratischer Staatschefs abhängig. Regeln haben aufgehört zu existieren. Während gegen Ende der 70er-Jahre, Anfang der 80er-Jahre das kommunistische System der Sowjetunion erstarrte und die Reformbereitschaft zunahm, sodass schon länger vor Glasnost eine Tauwetterpolitik mit dem Westen auf der Agenda stand, passiert heute genau das Gegenteil.
Seit 30. September 2015 greift Russland auf Seiten der syrischen Regierung in den Syrienkrieg ein. Gleich nach den ersten Kampfflugzeugeinsetzen im Oktober 2015 brachten 7 Länder ihre Besorgnis zum Ausdruck, dass diese zu Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt hatten, anstatt Ziele es IS zu vernichten. (2. Oktober 2015). Unterzeichnet wurde die Erklärung von den Regierungen der USA, Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands, Katars, Saudi-Arabiens und der Türkei. Dies war der Auftakt zu einem neuen Kalten Krieg, der aber den Verbrauchern des Westens lange Zeit keinen Inflationsschub brachte. Mit Amtsantritt Bidens haben sich aber die Beziehungen des Westens mit Russland zunehmend verschlechtert und die Ukraine näherte sich immer mehr der NATO an, ehe mit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 das Ende der Globalisierung wie wir sie heute kennen, eingeleitet wurde. Der neue Kalte Krieg hat gerade erst so richtig begonnen und diesmal gibt es weder Regeln noch „Gentlemen-Gefechte“. Es herrscht schlichtweg das Recht des Stärkeren in punkto Militär und Wirtschaft. Die Hochrüstung der NATO und einem 100-Milliarden-Euro-Auftakt Deutschlands um die Bundeswehr upzugraden sind erst der Anfang. Es wird voraussichtlich wieder mehr Geld von zivilen Belangen in die Rüstung umverteilt und Ressourcen werden schon alleine dadurch zunehmend knapper.

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