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Tierschutz im Schatten multipler Krisen, Caligulas Weitblick

von Thomas Beckstedt

„Was ist los?“, frage ich Kurt, der deprimiert vor dem Schwedenofen im Presshaus seines Weinkellers sitzt und missmutig im Feuer herumstochert. „Ich habe einen schweren Fehler gemacht“, erwidert er leise. „Gestern Abend habe ich seit längerer Zeit wieder einmal Nachrichten geschaut − über eine Stunde lang auf allen möglichen Sendern. Ich weiß auch nicht, warum ich das gemacht habe. Vermutlich in der Hoffnung, dass sich irgendwo auf diesem Planten etwas ereignet hat, das mir Freude bereitet. Aber nichts … nichts!“ Er greift zu seinem Weinglas, nimmt einen Schluck und beginnt sich mit seinem Handy zu beschäftigen.

„Nun ja“, sage ich, um Zeit zu gewinnen und überlege, wie ich Kurt aufheitern könnte, aber mir will partout nichts einfallen …

Da ruft Kurt plötzlich voller Freude: „Super! Schau her!“, und deutet auf sein Handy.

Bestimmt ein Großereignis, denke ich spontan, sonst würde Kurt nicht so reagieren. Ich wage kaum zu hoffen, dass ihnen im aktuellen Krisengebiet Numero Eins endlich die Munition ausgegangen ist und sie aufgehört haben, sich gegenseitig mit immer größeren Granaten und Bomben das Licht auszulöschen. Neugierig richte ich meinen Blick auf Kurts Handy: Ich erstaune und fange sofort an mich zu entspannen: Auf dem Handy meines Freundes läuft ein Video, das einen halbwüchsigen Braunbären zeigt, der am helllichten Tag völlig ungeniert durch eine europäisch aussehende Ortschaft trottet, dann über einen Gartenzaun klettert und sich an einen Baum gelehnt gemütlich den Bauch kratzt.

„Unfassbar! Wo ist das?“, will ich sofort wissen.

„In Scanno“, antwortet Kurt. „Das ist eine kleine Ortschaft in den Abruzzen, Italien. Dieses Video und noch ein paar andere hat mir letztes Jahr eine Bekannte geschickt, die dort Urlaub gemacht hat. Und jetzt, beim Stöbern in meinem Handy, habe ich es wiedergefunden. Scanno liegt in einem Nationalpark, wo die Bären streng geschützt sind. Sie dürfen sich völlig frei bewegen, auch in der Ortschaft, und wenn sie sich ein paar Äpfel auf dem Garten oder ein wenig Honig aus einem Bienenstock holen, ist das kein Problem. Die Bären sind quasi Rundum-Sorglos-Haftpflicht und Vollkaskoversichert − ohne Selbstbehalt. Der Nationalpark schützt die Tiere und kommt für etwaigen Schäden voll auf.“

„Großartig. Dass es so etwas noch gibt!“ Ich bin hellauf begeistert.

„Ja und nein“, mein Kurt nachdenklich. „Natürlich ist es super, dass es so etwas wie Scanno noch gibt, wo Mensch und Tier in friedlicher Koexistenz leben. Andrerseits ist es traurig, dass wir an der Stelle jetzt großartig sagen: Der Mensch hat den Tieren die meisten, in vielen Regionen alle natürlichen Lebensräume weggenommen und meines Wissens nie wieder ein bedeutendes Stück Land zurückgegeben. Aber in Zeiten wie diesen, wo die Schlagzeilen über die nie enden wollenden Krisen, die allesamt menschgemacht sind und sich täglich verschärfen, ist in den Medien kein Platz mehr für das Anliegen der Wildtiere. Sie haben keine politische Vertretung und keine Lobby – wie die Waffenindustrie in etwa, die aktuell ja kolossal boomt. Und wenn über Klimaschutz geredet wird, dann nicht aus Respekt vor den Tieren, sondern weil der Mensch Angst hat, selbst auf der Stecke zu bleiben.“

Kurzes Schweigen, dann wieder Kurt: „Ich finde, die Wildtiere wie auch die Haustiere sollten in die Politik gehen. Ich stell mir das echt lustig vor: Eine Schar Hühner und etliche Ziegen diskutieren im Europaparlament mit einer Gruppe Esel darüber, ob man künftig nicht nur korrupte Politiker in Gefängnis stecken sollte, sondern auch jene Vertreter dieser Berufsgruppe, denen gefährliche Unfähigkeit und Trägheit nachgewiesen werden kann … Ha, ha, ha, wir lachen herzhaft! Und ich füge hinzu: „Nun, wenn man sich so ansieht, was aktuell auf diesem Planten abgeht, würde der eine oder andere pummelige Braunbär mit Entscheidungsbefugnis in den Machtzentren der Welt eine positive Auswirkung haben: Ihr wollt mehr Raketen bauen? Blödsinn, es gilt die Honigproduktion zu steigern! Und haltet mir das Wasser für die Lachse frisch und sauber! Außerdem die Gesundheit der Bäume, an denen wir Bären unseren Rücken reiben …“ Kurt und ich haben noch eine Weile viel Spaß, indem wir uns immer neue Episoden über Tiere und deren Akzente in der Weltpolitik vorstellen, als Kurt unvermutet einwirft: „Taj, leider wird der Mensch die Tiere an der Macht nicht beteiligen, denn in den letzten 2000 Jahren gab es diesbezüglich nur eine einzige ernsthafte Initiative: Durch den römischen Kaiser Caligula! Er wollte sein Lieblingspferd, das er im Palast wohnen ließ, zum Senator erklären, was den anderen Senatoren, allesamt Zweibeiner, natürlich überhaupt nicht schmeckte. Tolle Idee und ziemlich progressiv!“ Kurze Pause. „Und wie ging die Geschichte aus? Die Prätorianer brachten Caligula um und die Nachwelt erklärte ihn für verrückt, trotzdem oder vielleicht sogar weil Kaiser Caligula in Hinblick auf Tiere ein Mann mit großem Weitblick war.“

Von der KFZ Polizze zum Mobilitätsschutz

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