Die Berufsunfähigkeitsversicherung gehört in vielen Ländern zur Grundabsicherung. In Österreich ist sie – trotz des enormen Risikos und der hohen Wahrscheinlichkeit des Eintritts – jedoch bis heute in der Nische geblieben.
Laut Zahlen des Versicherungsverbandes VVO wurden im Jahr 2022 gerade einmal 7.811 BUs sowie Erwerbsunfähigkeitsversicherungen (EU) im Neugeschäft österreichweit abgeschlossen, was einem Rückgang von mehr als elf Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Insgesamt haben lediglich rund fünf Prozent aller Arbeitnehmer in Österreich eine private Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) abgeschlossen, obwohl jeder Vierte vor seinem Pensionsantritt zumindest einmal berufsunfähig wird. Jährlich sind es mehr als 50.000 Personen in Österreich, die aus gesundheitlichen Gründen ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Doch nur weniger als ein Drittel erfüllt die strengen Voraussetzungen für eine staatliche Berufsunfähigkeitspension. Im Vergleich zur Zahl der Erwerbspersonen ist die Anzahl der BU-Versicherungsnehmer verschwindend gering. So gab es mit Ende 2022, laut den Zahlen des Versicherungsverbandes, rund 114.000 aktive BU- bzw. EU-Versicherungen bei rund 4,4 Millionen Erwerbstätigen. Im Vergleich dazu haben in Deutschland rund 17 Millionen Menschen (bei rund 45 Millionen Berufstätigen) eine BU abgeschlossen. Dabei habe sich die BU in den vergangenen Jahren in Deutschland als eine der wichtigsten privaten Polizzen etabliert, erklärt Willibald Bors, Österreich-Direktor der Dialog Leben.
Deutschland vs. Österreich
Die grundsätzliche Ausgangsbasis in Form der unzureichenden staatlichen Absicherung sieht Willibald Bors, Direktor Dialog Lebensversicherung AG Österreich, in Deutschland und Österreich ähnlich. Seit 2014 gibt es in Österreich keine befristete Invaliditäts- bzw. BU-Pension mehr. „Diese wird in Österreich nur noch bei dauerhafter BU bezahlt“, erklärt Bors. Auch wenn Peter Eichler, Vorstand der UNIQA Group, im Bereich Personenversicherung hinzufügt, dass die österreichische Sozialversicherung noch deutlich höhere Leistungen im Rahmen der Invaliditätspensionen erbringe, stelle sich die Frage, wie es trotz ähnlicher Voraussetzungen zu solch einer großen Diskrepanz bei der Versicherungsdurchdringung zwischen Österreich und Deutschland komme? Jörg Illing, Chef des Vertriebspartnerservices der Hannoverschen Versicherung, macht nicht zuletzt die unterschiedliche Wertigkeit der BU im Verkaufsgespräch in den beiden Ländern dafür verantwortlich. Während in Deutschland zuallererst existenzielle Risiken, wozu auch die BU zählt, abgesichert werden, wird die BU in Österreich, wenn überhaupt, erst am Schluss eines Verkaufsgespräches angesprochen, und da ist dann meist auch kein Geld mehr für einen weiteren Versicherungsvertrag übrig. Eine ähnliche These stellt die Dialog-Versicherung auf. „Neben der Vermutung, dass die konkreten finanziellen Folgen eines längerfristigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben nicht ausreichend vermittelt werden, stellt sich die Frage, ob der Abschluss an anderer Stelle scheitert, zum Beispiel der wirtschaftlichen Situation der betroffenen Haushalte“, so Bors. Die hohe Absicherungsquote wurde laut Bors in Deutschland nicht zuletzt aufgrund medialer Berichterstattung gefördert. „Die Menschen haben erkannt, dass die Absicherung ihrer Arbeitskraft und ihres Arbeitsplatzes wichtig ist und die Makler weisen in fast jedem Kundengespräch auf die Möglichkeit der BU-Absicherung hin“, so Bors. Christian Wagner, Leiter des Produktmanagements bei der HDI Leben, meint, dass in Österreich zwar das Thema fester Bestandteil eines umfassenden Beratungsgespräches sei, aber es meist an den zusätzlichen Kosten scheitere oder daran, dass die Menschen hoffen, von diesem Risiko verschont zu bleiben.
Verschärfte Bedingungen
Jedenfalls wäre die Gesetzesnovelle 2014, die die Bedingungen für den Erhalt einer staatlichen BU verschärfte, prädestiniert gewesen, eine Veränderung im Verhalten von Maklern beim Verkaufsgespräch zu initiieren. Seit damals gilt folgender Grundsatz: Der Staat stuft jeden Antrag auf Berufsunfähigkeit als Antrag auf Rehabilitation ein. So wird zunächst versucht, sofern es zweckmäßig und zumutbar ist, die Person durch Umschulungen wieder in das Arbeitsleben zurückzubringen. Bis zum 50. Lebensjahr besteht damit nur Anspruch auf die staatliche Berufsunfähigkeitspension, wenn Rehabilitationsmaßnahmen nicht mehr zweckmäßig und zumutbar sind. Somit hofften auch die einheimischen Versicherungsmakler, kurz nach der Einführung der Novelle, es könnte zu einer Situation wie in Deutschland kommen, wo die Nachfrage nach einer privaten BU durch die Einführung des Hartz-IV-Sozialsystems angekurbelt wurde. „Wir hatten große Erwartungen an den Verkaufsumsatz nach der Reform der staatlichen Unterstützung bei Berufsunfähigkeit, jedoch wurden diese nicht erfüllt“, erklärt ein Makler. Auch die intensiven Schulungen der Vertriebsmitarbeiter, um die Kunden auf die Vorteile einer privaten Versicherung hinzuweisen, scheinen nicht zu fruchten. „Die Vogel-Strauß-Politik ist in der breiten Masse leider immer noch weit verbreitet“, erklärt Wagner.