„Wie du weißt“, sagt Kurt, „kämpfe ich schon seit längerem mit permanent verlegten Stirnhöhlen und den dazu passenden unangenehmen Folgen: Kopfschmerzen, verstopfte Nase − und nachts schnarche ich wie ein narkotisiertes Nilpferd.“
„Das ist nicht lustig“, erwidere ich ernst. „Was sagt der Arzt?“
„Meine Hausärztin stellte mir ein Rezept aus und meinte, wenn es mit meinen Nebenhöhlen in den nächsten zwei Wochen nicht besser wird, solle ich einen Facharzt konsultieren. Was soll ich dir sagen? Die Medikamente haben nicht viel genutzt, also folgte ich ihrem Rat und suchte einen HNO-Spezialisten auf. Dieser diagnostizierte, nachdem der vor Ort durchgeführte Allergietest negativ ausgefallen war, nach einem kurzen Blick in Mund und Nase als Ursache des Übels eine verkrümmte Nasenscheidewand, die operiert werden müsse, und verschrieb mir als Übergangslösung ein Nasenspray und eine 08/15-Nasenspülung. Tja, und weil ich nicht zu den Leuten gehöre, die sich vorschnell unters Messer lege, hielt ich es für angebracht, eine weitere Facharztmeinung einzuholen. Also ging ich zu einem weiteren HNO-Spezialisten. Auch dieser machte einen Allergietest, bei dem sich kaum sichtbar aber doch eine Allergie gegen die Hausstaubmilbe erkennen ließ. Nach Untersuchung meiner Nase stellte er fest, dass meine Nasenscheidewand wohl ein wenig verkrümmt wäre, aber kein Fall für eine Operation. Er gab mir einige Tipps, um die Allergie in den Griff zu bekommen und verschrieb mir das gleiche Nasenspray wie der erste HNO-Spezialist.“
„Wenigsten etwas“, werfe ich ein und lache. „Wenigstens waren sich die Experten beim Nasenspray einig.“
„Schon“, meint Kurt, „aber nun hatte ich zwei völlig verschiedene Diagnosen und die Frage, ob ich mich operieren lassen soll oder nicht, war überhaupt nicht beantwortet. Nun, als guter Demokrat entschied ich mich, eine dritte Expertenmeinung einzuholen und der Mehrheitsmeinung Folge zu leisten.“
„Jetzt bin ich aber gespannt!“
„Die ersten zwei HNO-Experten waren Krankenkassenärzte, und weil es für mich um eine wichtige Entscheidung ging, beschloss ich, Geld in die Hand zu nehmen und einen Wahlarzt aufzusuchen. Nachdem mich dieser über die Höhe seines Honorars von 130.- € in Kenntnis gesetzt und ich zugestimmt hatte, schilderte ich ihm mein Anliegen und erzählte ihm von den Diagnosen seiner Kollegen. Er untersuchte mich gründlich und äußerte die Vermutung, dass in gewisser Hinsicht beide recht hätten, aber unter Umständen noch eine weitere Komponente hinzukommen könne. Um dies abzuklären, verschrieb er mir ein Schaflabor und eine Computertomografie meines Kopfes. Als ich die Befunde hatte, ging ich wieder zu diesem Wahlarzt, der nach kurzem Studium der Unterlagen feststellte, dass mit meinen Nebenhöhlen eigentlich alles in Ordnung ist. Um das Schnarchen in den Griff zu bekommen, schlug er eine Operation des Gaumensegels vor, das bei mir überdurchschnittlich groß sei, was aber 14 Tage echte Schmerzen bedeuten würde. Besagte OP würde das Problem mit dem Schnarchen aller Wahrscheinlich nach nicht völlig lösen, vermutlich jedoch entschärfen. Als er merkte, dass ich zögerte (14 Tage echte Schmerzen nach der partiellen Amputation des Gaumensegels ist keine Option, auf die man sich mit heller Begeisterung stürzt), meinte er, ich könne ja noch darüber nachdenken, denn die Wartezeit auf eine solche Operation beträgt aktuell rund ein Jahr.“
„Ein Jahr Wartezeit?“, rufe ich erstaunt. „Unser Gesundheitssystem lebe hoch!“
Ohne auf meinen Zwischenruf einzugehen fährt Kurt fort: „An der Stelle fügte der Arzt hinzu, dass ich es auch mit Abnehmen probieren könne. Dass ich ein paar Kilo zu viel mit mir herumtrage ist den hellen Augen des Arztes nicht entgangen.“
„Und was tust du jetzt?“, frage ich Kurt.
„Abnehmen natürlich! Und wenn es mit dem Schnarchen besser wird, spare ich mir den Eingriff: 14 Tage lang echte Schmerzen, mein Gott! Das sagte ich dem Arzt auch so und wir vereinbarten, dass ich nach 6 Monaten wieder vorstellig werde. Anschließend gewährte er mir 10.- € Stammkundenrabatt und verrechnete mir 120.- statt 130.- €“
„Einen Teil davon bekommts du aber wieder zurück“, merke ich an.
„Ja, einen Teil: 45 bis 50 von 250 Mäusen, die ich in Summe berappt habe.“
„Besser als nichts oder wie man so schön sagt: Besser als einen Stein auf den Kopf!“
„Ganz recht, man schenkt nichts her, nicht in diesem Land! Also füllte ich das Formular für die Erstattung von Wahlarztkosten aus, kopierte die Honorarnoten des Arztes und ging damit in die lokale Geschäftsstelle meiner zuständigen Krankenkasse. Dort ankommen erinnerte ich mich an ein unangenehmes Erlebnis, dass ich hier vor Jahren in einer ähnlichen Situation hatte. Damals wurde ich ziemlich unfreundlich abgefertigt. Egal, dachte ich, damals ist damals, jetzt ist jetzt. Ich ging hinein und fing alsbald an zu staunen. Die Dame von der Krankenkasse begrüßte mich freundlich, nahm mein Anliegen aufmerksam zur Kenntnis und informierte mich, dass ich dieses Formular, das ich mir aus dem Internet heruntergeladen hatte, gar nicht ausfüllen müsse, da meine Daten im System gespeichert seien. Sie würde für die Weiterleitung meines Antrages nur die Arztrechnungen und die Zahlungsbelege benötigen. Die hatte ich natürlich dabei und sie meinte: ‚Perfekt‘. Dann fragte sie mich, ob sie die Rechnungen für mich kopieren solle und als ich sagte, das hätte ich bereits gemacht, sagte sie ‚Großartig!‘ und wünschte mir einen schönen Tag. Als ich hinausging war ich richtig glücklich über dieses kleine aber schöne Erlebnis. Und dieses gute Gefühl hielt in mir fast den ganzen Tag lang an.“
Ich seufze und sage: „Schön, wirklich sehr schön, aber irgendwie auch ein Jammer, dass wir uns über Dinge freuen, die im Grunde genommen selbstverständlich sein sollten. Daran sieht man, in was für einem Umfeld wir inzwischen leben.“
Darauf Kurt: „Stimmt, da hast du verdammt noch mal recht …“