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Über Gedanken, die man wälzt, wenn sich Spiele bei der Fußball-EM längere Zeit torlos ziehen

von Thomas Beckstedt

Weder Kurt noch ich sind Fußballenthusiasten und keiner von uns fühlt sich zu einem bestimmten Club sonderlich hingezogen. Auch halten wir uns nicht für Fußballexperten, die am Ende alles besser wissen als die tatsächlich Verantwortlichen. Aber sportliche Großereignisse wie eine Fußball Europameisterschaft oder gar eine WM finden durchaus unser geneigtes Interesse.

Heute am 9.7.2024 spielt Spanien gegen Frankreich, was eine spannende Partie zu werden verspricht. Und als um 21.00 Uhr endlich der Anpfiff ertönt, sitzen Kurt und ich vor dem Fernseher und harren der Dinge, die jetzt kommen werden. Spanien oder Frankreich: Wer zieht ins Finale ein und wer fährt nach Hause? Wir haben mit keinem der beiden Länder erwähnenswerte Beziehungen, aber aus einem unerfindlichen Grund drücken wir dem spanischen Team die Daumen, frei nach dem Motto: Aus französischem Rotwein haben wir uns noch nie viel gemacht!

Das Spiel beginnt munter und wir sind dem österreichischen Kommentatoren-Duo ausgesprochen dankbar, dass sie das laufende Spiel höchst professionell begleiten.

Nach einigen Minuten meint Kurt plötzlich: „Weißt du, was mich bei dieser EM auffällig oft beschäftigt?“ Als ich verneine, sagt er: „Es ist die Werbung, die auf der Bande rund um das Spielfeld permanent eingeblendet wird. Wenn eine Partie sich zieht und keine Mannschaft so recht eine Idee zu haben scheint, wie sie ein Tor erzielen soll, fange ich an, mich mit besagter Werbung zu beschäftigen.“

Jetzt muss ich lachen. „Ob du es glaubst oder nicht, mir geht es ähnlich. Zwei Aspekte sind mir dabei besonders ins Auge gestochen: Erstens die unübersehbare Präsenz von Visit Qatar und Qatar Airways, die mich jedes Mal von Neuem an diesen kritischen Rummel rund um die WM 2022 in Qatar denken lässt …“

„Was aber einige sehr bekannte europäische Politiker nicht davon abgehalten hat, nach Doha, Qatar, zu pilgern, um üppige Gasverträge zu verhandeln“, sagt Kurt mürrisch.

„Stimmt“, pflichte ich bei, „das ist mir auch aufgefallen und warf mir einige Fragen auf. Aber zurück zur aktuellen Europameisterschaft: Das zweite, das mir laufend ins Auge sticht, sind die fast schon …“

TOR! Die Franzosen schießen in der 9. Minute ein Tor! Irgendwie unerwartet und nicht gerade zu unserer Freude. Aber was soll man machen? Das Spiel geht weiter und es ist ja noch genug Zeit, das Ergebnis zu drehen.

Nach einer Weile kehre ich zu meinem unvollendeten Satz zurück und sage: „Das zweite, das mir bei der Banden-Werbung unaufhörlich ins Auge sticht, ist …“

Kurt unterbricht mich: „Ich weiß, was jetzt kommt: Dir sind die omnipräsenten Werbebanner von 5 großen chinesischen Unternehmen aufgefallen, die sich unmöglich übersehen lassen: Vivo, Hisense, Aliexpress, Alipay und B.Y.D. Oft sieht man sogar chinesischen Schriftzeichen, vermutlich für die fußballinteressierten Landsleute zu Hause in Peking, Shenzhen, Shanghai und Umgebung.“

Ich lächle und nicke. „So ist es, aber das war nicht schwer zu erraten. Insgesamt bin ich jedoch ein wenig verwundert, denn seit einiger Zeit gibt es ja bei uns in Europa diesen, wie mir scheint, beständig wachsenden Trend, China mitsamt seinen politischen und wirtschaftlichen Ambitionen mit kritischen Augen zu beargwöhnen.“

„Geld stinkt eben nicht“, merkt Kurt an. „Das wusste schon der römische Kaiser Vespasian, als er die öffentlichen Latrinen besteuerte. Aber zurück zu China: Was soll man dazu sagen? Der Westen hat mehrere Jahrzehnte lang massiv in China investiert und wichtige Industrien dorthin verlagert – inzwischen können wir nicht einmal mehr Glühbirnen selbst produzieren! – und jetzt will man das Rad der Geschichte zurückdrehen. Seit kurzem gelten Strafzölle auf chinesische Elektroautos, was sicherlich zu Gegenmaßnahmen führen wird – aber B.Y.D. nicht sonderlich schreckt! Aktuell baut Build Your Dreams in Ungarn eine Fabrik, in der, soviel ich gelesen habe, dann jährlich zehntausende Elektroautos vom Fließband rollen sollen. Aus Made in China wird Made in EU und …“

TOR! Spanien gleicht aus in der 21. Minute! China ist vergessen, wir folgen wieder dem Spiel.

Und nur Minuten später fällt noch ein TOR! 2:1 für Spanien! „Yes!“, ruft Kurt und bringt eine Flasche Rioja, die er sogleich öffnet. Genüsslich befüllt er zwei Gläser.

Nach einer Weile sind wir fest überzeugt, dass Spanien gewinnt, und Kurt fragt beiläufig: „Weißt du eigentlich wo die nächste Europameisterschaft stattfindet?“

„Nö“, sage ich, „aber ich glaube aufgeschnappt zu haben, dass die nächste Weltmeisterschaft in den USA, Kanada und Mexiko ausgetragen wird.“

Kurt nimmt einen Schluck von seinem Weinglas. „Gut Idee, aber eine andere würde mir wesentlich besser gefallen.“

„Ja? Und welche?“

Eine Fußball-WM, bei der sich Russland und die Ukraine die Veranstaltungsorte teilen, mit einem Endspiel in Minsk.“

„Nun, ja“, meine ich, „das würde ich auch ziemlich gut finden, wenngleich ich eine gemeinsam von Israel und Iran organisierte WM ebenfalls sehr begrüßen würde. Doch der Weg dorthin ist leider sehr weit. Aktuell gibt es in den Machtzentren der Welt viel zu viele Leute, die glauben, mit noch mehr Waffen Frieden zu schaffen.“

„Ist mir bewusst“, erwidert Kurt, „aber vielleicht erleben wir es ja noch, falls an den maßgeblichen Stellen die Diplomatie rechtzeitig wieder entdeckt wird und wir auf diesem Planeten weitere 40 bis 50 Jahre durchhalten. Die Gräben, die mittlerweile aufgerissen wurden, sind schon sehr tief und es wird viel Zeit und Mühe brauchen, sie zu überwinden. Aber jetzt lass uns den Rioja genießen und das Spiel verfolgen – ohne schwere Gedanken. Das Spiel ist gut und wenngleich meine Sympathien hauptsächlich den Spaniern mit ihrem jungen Stürmerstar Lamine Yamal gelten, bin ich der Meinung, dass am Ende das bessere Team gewinnen möge.“

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