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Hungrig einkaufen und gierig investieren – beides keine gute Idee

von Leopold Quell

Was passiert, wenn man hungrig im Supermarkt einkaufen geht? Genau, man wird mehr und unter Umständen andere Lebensmittel einkaufen als sonst. Man wird Kaufentscheidungen treffen, die in diesem Moment vernünftig erscheinen, aber zuhause – nachdem der Hunger gestillt wurde – zweifelhaft erscheinen. Beim Investieren kann Etwas Ähnliches passieren. Nicht Hunger, sondern andere ebenfalls sehr starke Motive wie Panik oder Gier (neudeutsch FOMO, Fear of losing out) können dazu führen, dass Sie schlechte Anlageentscheidungen treffen. Sie sind eben nicht Sie selbst, wenn Sie gierig oder panisch sind. So mag es im jeweiligen Moment zwar total logisch erscheinen, diese oder jene „heiße“ Aktie zu kaufen oder diesem oder jenem Trend zu folgen, der in aller Munde ist. Aber rückblickend stellen sich solche kurzfristigen Investitionsentscheidungen, die auf einem Bauchgefühl oder einem „Geheimtipp“ basieren, zumeist als Fehler heraus.

 

Aber machen wir einen Schritt zurück. Warum ist kurzfristiges Spekulieren so viel schwieriger als langfristige Veranlagung? Weil man als langfristiger Investor Rückenwind genießt. Wie ist das gemeint? Während kurzfristig, beispielsweise auf täglicher Basis, die Märkte fast 50:50 schwanken, sprich steigen oder fallen, ist langfristig zu erkennen, dass Märkte mehrheitlich steigen. Natürlich gibt es einzelne Jahre, in denen Aktienmärkte fallen, sogar kräftig. Aber die Jahre, in denen die Aktienmärkte an Wert gewinnen, sind eindeutig in der Mehrzahl. Und wenn man diese Analyse über Jahrzehnte (statt Jahre) anstellt, so wird dieser Rückenwind noch spürbarer. Vor allem Sparpläne stellen daher eine vernünftige Strategie dar. Insbesondere wenn man auf ein diversifiziertes Portfolio setzt.

Noch ein Aspekt wird unterschätzt. Eine ganz aktuelle Analyse von Dr. Henrik Bessembinder zeigt, dass die durchschnittliche jährliche Performance von US-Aktien zwar 5,7 Prozent beträgt, die Medianperformance der insgesamt 29.087 untersuchten Aktien (im Zeitraum von 1926 bis 2023) jedoch leicht negativ ist. Wie ist diese Diskrepanz zwischen dem Mittelwert und dem Median möglich? Mehr als 50 Prozent aller Aktien weisen negative Performance auf – gerechnet von ihrem IPO bis zur Löschung der Notierung (aufgrund von Konkurs oder Übernahme). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Aktienmärkte von einer Minderheit von sich stark (bis sehr stark) entwickelnden Unternehmen getragen werden. Diese Starperformer machen die langfristig attraktive Rendite von Aktienmärkten erst möglich, indem sie die negative Entwicklung von schwachen oder untergehenden Unternehmen wettmachen. Sicherzustellen, diese Performancetreiber im Portfolio zu haben, entscheidet weit mehr über Ihre Gesamtrendite als mögliche Zusatzgewinne durch kurzfristige Spekulationen.

Trotzdem gibt es (viele) Investoren, die kurzfristig in ihr Portfolio eingreifen. Sie tun dies, weil sie annehmen, dass sie den Markt „schlagen“ und zum richtigen Zeitpunkt Aktien/Fonds/Sektoren/Währungen usw. umschichten können. Und in der Theorie erscheint das ja auch sinnvoll. Schmerzhafte Kursrückgänge und Bärenmärkte zu vermeiden, indem man verkauft, bevor es bergab geht, würde die Performance massiv verbessern. Empirische Daten beweisen jedoch, dass dies nur einer sehr kleinen Minderheit von Investoren halbwegs zuverlässig tatsächlich gelingt. Die große Mehrheit neigt dazu, genau das Gegenteil zu tun, also Gewinne zu früh mitzunehmen und stattdessen Verluste laufen zu lassen.

Warum strahlen diskretionäre Eingriffe so viel Reiz auf manche Investoren aus? Wohl weil gewonnenes Geld süßer ist als verdientes Geld. Und hin und wieder gelingt es auch unerfahrenen Investoren, erfolgreich zu spekulieren, und das streichelt das Ego ungemein – selbst, wenn Nettogewinne liegen gelassen werden und zusätzlich Spesen und unter Umständen Steuern anlaufen.
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risControl 08/2024

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