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Über eine Reise nach Moldawien und Transnistrien und einige sehr interessante Beobachtungen

von Thomas Beckstedt

Chişinău! Es ist sommerlich warm und Kurt und ich sind pünktlich gelandet. Am Flughafen werden wir von unserem Fahrer erwartet, der uns in das Hotel bringen wird. „Ich hole nur mal schnell mein Auto“, sagt er zu uns in gutem Englisch und verschwindet für ein paar Minuten. Dann fährt er mit einem riesigen Mercedes vor, der so neu und gepflegt aussieht, als käme er direkt aus der Fabrik. „Was hast du da eigentlich gebucht?“, frage ich Kurt, der nicht nur die Idee zu unserem spontanen Städtetrip hatte, sondern sich auch um Flug, Hotel und alles weitere gekümmert hat. „Nichts besonders“, erwidert er achselzuckend. „Der Transfer wurde auf der Buchungsplattform für Flug und Hotel angeboten, und weil weder du noch ich je in Moldawien waren, dachte ich, ich buche ihn gleich mit.“

Während der 25-minütigen Fahrt zum Hotel stechen uns zwei Dinge ins Auge: Zum einen die vielen Nussbäume, die die breiten Straßen säumen, zum anderen die bemerkenswert hohe Qualität der Autos. Kurt wirkt nachdenklich, ebenso wie ich. „Also irgendetwas verstehe ich jetzt nicht“, sagt er schließlich. „Moldawien gilt nach der Ukraine als ärmstes Land Europas, aber ihre Autos sind offenbar besser als die des durchschnittlichen Österreichers.“

Als wir das Zentrum von Chişinău erreichen, wo unser Hotel liegt, beginnt Kurt zu schmunzeln, als er die großen Luxus-Limousinen und SUVs, ebenfalls Luxusklasse, erblickt, deren makelloser Lack wie frisch poliert in der Sonne glänzt. „Ich will ja nicht lästern“, raunt er mir zu, „aber irgendwie sieht das hier aus wie ein gigantisches Familientreffen der Mafia.“ – Ich nickte und grinse, denn ähnliche Gedanken sind auch mir gekommen, doch ich spreche sie nicht aus und erwidere halb im Scherz: „Die Mehrheit des armen Moldawiens will ganz dringend in die EU, und damit wir ihnen das nicht vermasseln, werden wir zu Hause nicht über die Mafia und dergleichen reden und stattdessen behaupten, es gäbe hier viele erfolgreiche Geschäftsleute, die gerne große Autos fahren.“

Zwei Tage später, während unseres Ausfluges nach Transnistrien, fragen wir unsere Reiseleiterin Nathalia nach besagten hochwertigen Autos. Ein wenig freudlos, aber bemerkenswert offen, gesteht sie ein, dass es in Moldawien einige sehr reiche Oligarchen gibt und Korruption ein massives Problem hier ist. Eine winzige Schicht von 1 bis 2 % der Bevölkerung sei ausgesprochen wohlhabend bzw. reich, während alle anderen eher arm wären; eine Mittelschicht fehle weitestgehend. Aber generell sei in Moldawien ein schönes Auto ein wichtiges Statussymbol. Jeder wolle ein entsprechendes Auto haben, selbst dann, wenn er es sich eigentlich nicht leisten könne. Viele Moldawier leben in sogenannten Studios, wie man hier kleine Wohnungen ab 25 m² nennt und verzichten auf alles erdenkliche, nur um ein schönes Auto zu fahren. Nathalia schließt etwas pointiert, um die Situation zu verdeutlichen, dass sie persönlich Landsleute kenne, die lieber verhungern würden, als ihr Auto aufzugeben.

Transnistiren! Von einer Reise in diese abtrünnige moldawische Provinz, die unter entscheidendem russischem Einfluss steht, raten alle möglichen Seiten aus diversen Sicherheitsbedenken ab. Aber gerade deswegen interessieren wir uns für diesen merkwürdigen Staat, den es im Grunde gar nicht gibt, da er von keinem Land der Welt offiziell anerkannt ist.

Die Fahrt von Chişinău zur moldawisch-transnistrischen Grenze dauert eine gute Stunde. Die Straßen sind teilweise sehr schlecht, ein Stück hingegen recht gut. „Wurde von der EU finanziert!“, erklärt Nathalia voller Freude, deren Augen immer zu leuchten beginnen, wenn sie von der hoffentlich baldigen EU-Mitgliedschaft Moldawiens spricht (wenn da nur nicht das leidliche Problem mit der grassierenden Korruption als ungelöstes Hindernis wäre!). Wir sind sehr gespannt: Insgeheim stellen wir uns darauf ein, mit Transnistiren eine Art russisches Militärcamp zu besuchen, in dem es von Panzern und Militär nur so wimmelt. Schließlich sind nach dem bewaffneten Konflikt zwischen 1990 und 1992 noch immer russische Truppen in Transnistrien stationiert. Offiziell ist die Rede von 1.500 Soldaten, aber Nathalia glaubt fest, dass es viel mehr seien. Wir sehen jedenfalls während der 10 Stunden, die wir in Transnistrien verbringen, nur zwei gelangweilte russische Soldaten an der Grenze und einen leichten Schützenpanzer, versteckt unter einem Tarnnetzt, ebenfalls an der Grenze.

Der Grenzübertritt ist erstaunlich unkompliziert. Der Beamte, der die Pässe kontrolliert, ist freundlich. Nun geht es weiter nach Tiraspol, der Hauptstadt von Transnistrien. In diversen Reiseführern las ich, Tiraspol sei eine Art sowjetische Zeitkapsel. Diesen Eindruck gewinne ich allerdings nicht. Abgesehen von ein paar Leninstatuen, einem Denkmal mit einem alten T-34 Panzer aus dem 2. WK und einem nostalgischen Restaurant, das sich „Back in USSR“ nennt, lässt mich hier nichts an die ehemalige Sowjetunion denken. Nebenbei bemerkt gibt es in Chişinău deutlich mehr und größere EU-Flaggen als russische Flaggen in Tiraspol, wo das Leben erstaunlich entspannt auf mich wirkt und das sich im allgemeinen Erscheinungsbild nicht wesentlich von dem sauberen Chişinău unterscheidet.

Nathalia, die von unserer Frage nach den ebenso schicken wie teuren Limousinen und SUVs in Chişinău offenbar ein wenig unangenehm berührt wurde, macht uns im Gegenzug auf jeden einzelnen Lexus in Tiraspol aufmerksam, frei nach dem Motto: Seht her! Auch hier gibt es Leute, die teure Autos mögen!

Mercedes, Audi oder Lexus: Egal! Kurt und begnügen uns mit deutlich bescheideneren fahrbaren Untersätzen, weil wir in unserem Leben andere Schwerpunkte sehen. Wichtig ist für uns vor allem, dass wir uns in Tiraspol wohl und sicher fühlen − und während wir die entspannten Menschen im modern eingerichteten Restaurant betrachten, wo wir zu Mittag essen, erscheint uns der Konflikt in der Ukraine, zu deren Grenze es keine 10 km sind, unendlich weit entfernt.

 

Thomas Beckstedt

Stärkung des strategischen Bereiches