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You´ll ever klebst alone

von Mario Passini

Auf gut Deutsch in etwa: Du wirst allein kleben. Ja, es ist ein anspruchsvolles, heikles Thema. Deshalb, kluge Leserinnen und schöne Leser, zunächst eine kurze Einführung: Schon im Mittelalter gab es Bürger, die sich nicht alles gefallen lassen wollten. Pfeffersäcke nannte man sie damals. Anno Domini war das Protestieren nicht ungefährlich. Man wurde angekettet, oder an einen Pfahl genagelt. Kleben gab es damals noch nicht. Schande und Strafe waren sicher. Der Nachtwächter verkündete, zu mitternächtlicher Stund‘, von Haus zu Haus die bittere Tat, und der Herold tat, von Dorf zu Dorf, vom Pferd herab Kund. Die heutigen Protestaktivisten haben es leicht. Protestieren ist Menschenrecht, demokratisches Grundrecht. Kein Sheriff von Nottingham, kein Nachtwächter, kein Herold. Sich zum gemeinsamen Protest zu treffen, ist leicht: Man verabredet sich übers Internet. Von dort aus kann man, in herrlicher Anonymität, auch schimpfen, verunglimpfen, drohen oder lügen, was das Zeug hält. Der Zustand der sozialen Medien ist katastrophal. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. Also, der Reihe nach.

Das Repertoire der Protestaktivisten ist schier unerschöpflich: Klima, Verkehr, fossile Zerstörung. Kaum ein Thema, gegen das man nicht protestiert. Eine Minderheit in der Minderheit protestiert gegen Denkmäler. Dort dargestellte Personen handelten, so Moralapostel, vor vielen – ja hunderten – Jahren nicht nach deren heutigen Geschmack und Gestion. Fragt sich: Wen interessiert das? Immerhin die Extremtoleranten tolerieren jede Meinung. Sofern sie sich mit der ihren deckt.

Die Öffentlichkeit macht mit. So wurde der Wiener Lueger-Platz „kontextualisiert“, sprich: Man baute eine temporäre „fragile Holzkonstruktion“ auf, so wörtlich in der amtlichen Aussendung. Entworfen von angeblich prämierten Künstlern. Die wahre Kunst scheint jedoch darin zu bestehen, für diese zusammengenagelten Riesen-Zahnstocher, die aus Gullivers Zwergriesenwelt stammen könnten, der Gemeinde kolportierte 200.000 Euro abgeknöpft zu haben.

Umfragemeinung am Wiener Lueger-Platz: „An Lächerlichkeit nicht zu überbieten.“ Mit diesem „Brandrodungsmodell“, so ein Bewohner, solle – so der Hintergedanke von Gutmenschen – auf die bösen Sünden Luegers (Bürgermeister von Wien 1897–1910) – Gott hab‘ ihn selig – hingewiesen werden. Oder im Sinne von GMS & Co (Gutmensch, Schwurbler & Co): Die Damaligen sollen von moralverstärkten Heutigen zurechtgewiesen und ein bisserl heruntergemacht werden. Ja, und das steht auch noch in der amtlichen Aussendung. Den Riesenholzstaberln hinzu stellt man 16 Artefakte – foin ausgedrückt für: Gegenstände. Die sollen auf Lueger hinweisen. Windeln?

 

Ganz schlimm hat es die deutsche Sprache erwischt. Einer Minderheit ist es gelungen, die Verhunzung unserer Sprache bis in den Duden hinein durchzusetzen. Mit der Begründung, Frauen seien mit der bisherigen Anrede „Liebe Österreicher“ benachteiligt. Seither wird gegendert. Alle verwenden das Binnen-I. Aus Sorge. Denn wer‘s nicht tut, könnte zum Ziel von Protestaktionen werden. Eher in die Kategorie „Spezielles“ – Pardon – unangreifbare, persönliche Rechte fällt die Geschlechtsbezeichnung. Kam man, bei Adam und Eva angefangen, mit derer zwei aus, fordern die Aktivisten heute die Anerkennung weiterer Geschlechtsarten. Man kann weiblich, männlich, beides, weder–noch, vieles, mehreres, femme, agender, neutrois oder etwas ganz anderes sein, wie transidente, nichtbinäre und intergeschlechtliche Menschen. Man steht, glaublich, derzeit bei Geschlecht Nummer vier. Erst, wenn sich einst „eines“ als Marsianer outet und daraus sein Recht ableitet, auf diesem Planeten keine Steuern zahlen zu müssen, könnte dies der Schlusspunkt sein.

 

Wutbürger, oder Last Generation, so bezeichnen sich Protestaktivisten heute. Man agiert mit unglaublichen Aktionen, weil es wenig Emotionen gibt, die stärker als Wut sind. Man trifft sich bei einem „Sit-in“, „Kett-in“ oder „Kleb-in“. Man besetzt – aus Protest – das Parlament oder man sitzt auf der Wiener Ringstraße – ein bevorzugter Demo-Ort. Und wartet auf die Polizei. Die kommt schnell und das ist gut so. Denn lange auf einem Betonband zu sitzen, ist nicht angenehm. Werden die Protestierer dann weggetragen, regt sich weiterer Widerstand. Denn mit dem Fortragen nimmt man den Protestierern das Recht auf Protest. So fordert man, logisch: „Lasst sie sitzen“. Das sei keine Therapiesitzung, sondern Protest. Das gilt auch fürs Kett-in, das Anketten an Bahngleise oder Gebäudeteile. Eine Aktivistin sagt in einer großen Tageszeitung: „Ich werde mich Woche für Woche dem fossilen Wahnsinn in den Weg setzen!“

Um noch mehr Aufmerksamkeit zu erhalten, kleben sich Protestaktivisten neuerdings in Museen an Bilder: „Pick-in“. Gerade, als die Polizei einen Angeklebten befreien wollte, rief eine Museumsbesucherin im Wiener Dialekt: „Oba hallo, aufhören! I hob do no goa nix g’sehn und mei’ Handy is a no ned parat. (Auf Deutsch: „Aufhören, ich habe noch nicht genug gesehen und mein Handy ist noch nicht auf Aufnahme eingestellt.“)

Die Protestaktivisten – sie nennen sich mitunter auch „freie Radikale“ – wissen, dass sie mit ihren Protesten sofort wenig bis gar nichts erreichen. Einer spricht Klartext: Alois Gscheitl, Kampfname „Al Booster“. Er ist tough und hart. Nur seine Hertha ist härter. Al kämpft – auch – für die Rechte der Frauen und ist dabei für jeden Protestspruch gut. Vor Kurzem sah man Al protestieren – in einem Clip auf YouTube Zusammen mit einem in der Szene unerfreulich bekannten Schwurbler, der glaubt, eines Tages ein Jedi-Ritter zu sein, dessen zu Hause dort ist, wo das Ladegerät seines Handys steht. (*). Er ist Vegetarier der zweithöchsten Stufe und isst nur, was keinen Schatten wirft. (*). Er trug eine Tafel, deren Aufschrift er übrigens öfters mal am Tag wechselt. Je nachdem, was ihn gerade mächtig aufregt. Diesmal stand auf der Tafel: „Mit Foller Graft voraus. Protestieren immer – Schweigen nimmer.“  Dass Al Booster, der Lieblingsschurke der Medien, da mitging, das kam in der Szene gar nicht gut an. Inzwischen ist der Clip nicht mehr erreichbar. Noch betroffen meinte Al, er sei eben kein Couch-Potato. Warum Protestaktivisten antreten? Al erklärt es uns: „Natürlich wissen wir, dass wir wenig Konkretes erreichen können. Was wir wollen, ist Aufmerksamkeit erregen, das Bewusstsein wecken. Die Menschen sollen ihre Rechte leben.“ Fein erklärt. Und warum er so martialisch protestiere? „Man hat meine Gefühle verletzt.“ Na dann. Was gibt es Schlimmeres als Entzug von Streicheleinheiten? Nicht umsonst sang Engelbert schon 1966: „Lonely is a man without love.“

Die Welt wird heißer und Überschwemmungen, Dürren und Buschbrände zerstörerischer. Die letzte große Dürre war gerade erst 1540. Deshalb erkläre ich aufrichtig, ich bin für Sit-in, Kett-in oder Pick-in. Lasst den Protestierenden ihren Protest ausleben! Wer tagelang oder womöglich noch länger an einem Gemälde pickt, erregt größtmögliche Aufmerksamkeit. Zum Abschluss: Inspiriert von der Ode an Russland vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die international als großartig, mitreißend und als Highest Art beurteilt wurde, ein – nicht vergleichbarer – Versuch einer Ode ans „Pick-in“ Natürlich komme ich an Selenskyjs Werk nicht heran. Ich bitte um Nachsicht:

 

Du forderst, wir sollen …

… keine moderne Infrastruktur schaffen – oder Du klebst dich an.

… Dir nicht genehme Denkmäler abreißen – oder Du klebst dich an.

… fürs Binnen-I sein – oder Du klebst dich an.

… die Wiener Ringstraße als Demo-Ort akzeptieren – oder Du klebst dich an.

… bei Pandemie nicht allgemeinen Schutz fordern – oder Du klebst dich an.

 

Die Geschichte wird alles an seinen richtigen Platz stellen. Read my lips: Wir werden moderne Infrastruktur schaffen, Denkmäler stehen lassen, Deutsch ohne Binnen-I schreiben, auf der Wiener Ringstraße geradeaus fahren und in Pandemiezeiten Mitmenschen schützen – und Du bleibst picken. Nehmen wir niemandem das Recht, sich aus Protest an ein Museumbild zu kleben. Lasst sie kleben, meint

Ihr Mario Passini

 

Quellen: Berliner Morgenpost, N24-Stunden, Zeitung Österreich, u.v.a.,

(*) = © M. Gruber

 

 

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