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Über Martin Luthers Kampf gegen den Ablasshandel, grünen Beton und CO2-Neutralität durch Kompensation

von Thomas Beckstedt

„Schön ist es hier“, sagt Kurt zu mir, als wir unlängst auf seiner Terrasse sitzen und in eine grüne Wiese schauen, die von einer hohen Hecke begrenzt wird. „Kaum zu glauben, dass es auf der Welt in diesen Tagen derart zugeht.“

„Stimmt“, sage ich nachdenklich, und dann reden wir das erste Mal seit längerer Zeit wieder über geopolitische Entwicklungen, die uns große Sorgen bereiten. Wir sprechen leise und ohne jeglichen Enthusiasmus; wir tauschen Wahrnehmungen aus, aber ziehen keine Schlussfolgerungen. Wir wissen nicht, was morgen passiert und wo die nächste große Bombe platzt.

„Ach, was solls“, seufzt schließlich Kurt und macht mit der Hand eine resignierende Geste. „Auch dieser Krieg da im Osten wird irgendwann zu Ende gehen. Weil alle Kriege irgendwann enden, selbst so ultrabrutale wie der Dreißigjährige Krieg, der Deutschland völlig verwüstet und ganze Landstriche entvölkert hat.“

„Ja,“, pflichte ich bei, „das war eine verdammt wüste Zeit. Und das alles nur, weil sich die Katholiken und Protestanten nicht einigen konnten. Hängt irgendwie alles mit Martin Luther zusammen, der rund 100 Jahre vor besagtem Gemetzel seine Thesen an eine Kirchentür nagelte.“

„In gewisser Weise ja, aber den Dreißigjährigen Krieg kann man Luther nicht anhängen. Luther war eine herausragende Persönlichkeit und sein Kampf gegen das damalige Übel des Ablasshandels war mehr als nur notwendig! Man muss sich das bildlich vorstellen: Zuerst machten die Priester den Menschen, die oft weder lesen noch schreiben konnten, Angst vor dem Fegefeuer und der Hölle, und dann verkauften sie ihnen Ablassbriefe, durch die sie angeblich Erlösung finden und nicht ins Fegefeuer oder gar die Hölle gestoßen werden. Ich habe nicht nachgelesen, welche Beträge für die diversen Sünden in Rechnung gestellt wurden, aber ein Ablassbrief für Diebstahl war sicherlich um einiges günstiger als der für einen Mord oder das Niederbrennen eines Klosters.“

„Zweifellos“, sage ich, „und vermutlich gabs für Massenmord auch einen Rabatt. So wie im Supermarkt: Nimm drei, Zahl zwei!“

Kurt lacht kurz auf und gibt dem Gespräch abrupt eine unerwartet andere Wendung. Er beginnt zu erzählen, dass er sich im Internet ein neues Smartphone gekauft hat. „Mein Smartphone wurde wie fast alle anderen Geräte dieser Art in Asien produziert. Anschließend wurde es mit einem Containerschiff, das vermutlich noch mit Schweröl fährt, nach Europa gebracht und mit einem Laster, der so gut wie sicher Diesel tankt, in die Verteilstation transportiert. Vielleicht war da noch irgendwo ein Stück Eisenbahn dazwischen, aber der Lieferwagen, der das Smartphone zu meiner Haustür brachte, hatte verlässlich auch einen Dieselmotor. Ich habe den Wagen gesehen und gehört. Schließlich freute ich mich, dass das Smartphone endlich da war, und ich dachte keine Sekunde darüber nach, wie umweltschädlich der Abbau von Lithium ist, das ein wesentlicher Bestandteil des Akkus meines Smartphones ist. Wozu auch? Wie man überall verkündet, gehört die Zukunft dem Elektroauto, wo du auf einer 600 bis 800 Kilogramm schweren Batterie voll mit Lithium hockst. Aber jetzt kommt der springende Punkt: Am meisten freute ich mich, dass auf dem Lieferschein des Händlers, bei dem ich das Smartphone gekauft habe, der Vermerk zu lesen war: CO2 neutral – auf der letzten Meile durch Kompensation!“

„Ah!“, sage ich laut, als mir endlich dämmert, worauf Kurt hinaus möchte.

„CO2-Neutralität durch Kompensation ist inzwischen ein großes Ding“, fährt Kurt fort. „Wenn du als Privatperson oder Firma übermäßig CO2 in die Atmosphäre bläst, kaufst du dir ein CO2-Zertifikat und alles ist gut. Dazu ein anschauliches Beispiel aus der Praxis: Vor einiger Zeit sah ich eine recht einprägsame Dokumentation über ein bekanntes österreichisches Skigebiet, in der eine lokale Persönlichkeit von den gewaltigen Liftanlagen schwärmte, die jetzt noch mehr Gäste pro Tag in die Berge brächten. Und als guter Marketingtechniker vergaß er auch nicht zu erwähnen, dass die Sitze der Doppelsessellifte sogar beheizt seien – selbstverständlich alles vollständig CO2-neutral durch Kompensation! − Fehlte bloß noch, dass der gute Mann am Ende noch erklärte, dass die zehntausend Tonnen Beton, die beim Ausbau des Skigebietes verarbeitet wurden, grüner Beton wären! Dabei ist Beton bekanntlich immer grau und nie grün, außer man malt ihn entsprechend an. Mir ist nicht bekannt, welche Klimaprojekte mit den CO2-Zertifikaten dieser Skiregion finanziert werden, aber ich weiß, dass die Erlöse aus dem Ablasshandel, gegen den Luther rebellierte, hauptsächlich in die päpstlichen Schatullen nach Rom flossen.“

„Nun ja“, räume ich ein, „ich weiß jetzt auch nicht genau, was mit den Einnahmen aus den CO2-Zertifikaten passiert, aber ich glaube gelesen zu haben, dass der Ablasshandel eine wesentliche Geldquelle für den Bau des Petersdoms in Rom gewesen ist. Schon schön anzusehen, dieser herrliche Bau …“

„Sehr schön“, bestätigt Kurt, „ich war bislang zwei Mal in Rom, allerdings zu einer Zeit, wo noch nicht von Flugscham und so Sachen die Rede war.“

Wir albern noch eine Weile herum, ziehen im Spaß fantasievolle Parallelen zwischen dem Rom des 16. Jahrhunderts und den aktuellen Machtstrukturen in Brüssel, als Kurt unvermutet einwirft: „Weißt du, worauf ich jetzt echt Lust hätte? Ich hätte Lust, den Holzkohlengrill anzuzünden und ein paar saftige Koteletts auf den Rost zu legen. Lassen wir es uns gut gehen, bevor sie, ich meine die da oben, Fleisch rationieren und die Holzkohlen-Grillerei bei Strafe verbieten.“

„Mal den Teufel nicht an die Wand!“, sage ich rasch, weil ich inzwischen alles für möglich halte.

„Aber so dick wird es schon nicht kommen“, mein Kurt gut gelaunt. „Und wenn ja, streichen wir den roten Kugelgrill da grün an und kaufen für die Koteletts und die Holzkohle einen allumfassenden Ablassbrief – äh, ich wollte sagen: Schadstoffzertifikat! Denn irgendwelche Hintertüren gibt es schließlich immer und Geld hat noch nie gestunken.“

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