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Sorge und Angst: die Furcht als neues Lebensgefühl

von Thomas Beckstedt

Längst jagt eine Krise – garniert mit einigen handfesten Katastrophen – die nächste: Wirtschaftskrisen, Finanzkrisen, Gesundheitskrisen, sicherheitspolitische Krisen – man will sich an all die Krisen der letzten zweieinhalb Jahrzehnte, ob sie nun real oder nur medial aufgebauscht waren, gar nicht mehr erinnern. Und man könnte fast wehmütig an die Zeit zurückdenken, als man in Wirts- und Kaffeehäusern noch rauchen durfte, als man ohne „Flugscham“  (auch so ein neues Wort!) in den Urlaub flog und vom Mainstream abweichende Meinungen, selbst wenn sie denkbar unbequem waren, respektiert wurden – eine Zeit, in der Boris Jelzin betrunken durch die Weltöffentlichkeit stolperte und die damalige Ohnmacht seines Landes auf peinlich groteske Weise zur Schau stellte. Aber Boris hatte wenigstens Spaß mit seinem amerikanischen Pendant, Bill Clinton, einem jungen, charismatischen Politiker, der sich für Monica Lewinsky mehr als für die CIA interessierte und lieber Saxophon spielte, statt Streubomben (eine von vielen Staaten geächtete Munition) in ein Land zu liefern, das die meisten Amerikaner vor Ausbruch der Feindseligkeiten auf der Landkarte gar nicht fanden − und möglicherweise noch immer nicht finden. Es war eine Zeit, in der Optimismus das bestimmende Lebensgefühl war − und noch immer ist es herrlich erfrischend, dieses YouTube-Video zu betrachten, in dem Bill Clinton neben Boris Jelzin bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus vor lauter Lachen die Tränen kommen. Seitdem ist einiges schiefgegangen, wie mir scheint.

Die Vereinigten Staaten haben sich von den Anschlägen des 11. Septembers mental noch immer nicht erholt, was sich unter anderem daran zeigt, dass sie das Folter-Gefängnis in Guantanamo Bay nach wie vor nicht geschlossen haben und ihre Rüstungsausgaben in schwindelerregende Höhen gestiegen sind. Zudem haben wir die Globalisierung und internationale Vernetzung so exzessiv vorangetrieben, dass jedes halbwegs größere Beben selbst auf der anderen Seite des Globus noch zu spüren ist. Dazu diese Hitze! Ach, früher freute man sich auf den Sommer und legte sich in die Sonne − jetzt hagelt es Warnungen: „Achtung, Hitzenotstand!“ Selbst das Essen wurde gefährlich: „Allergene, wo man hinsieht, seien Sie vorsichtig! Fleisch sowieso, doch auch Milch und Käse sind ganz schlecht: Milchkühe wurden unlängst als Klimaschädlinge entlarvt! Aber Insekten im Müsli sind völlig bedenkenlos, vertrauen Sie unseren Experten.“ Am wichtigsten jedoch: Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik herrscht transatlantische Einigkeit und euphorische Zuversicht: „Der böse russische Bär wird mit vereinten Kräften demnächst bezwungen sein, und auch dem hinterlistigen chinesischen Drachen, der freilich ein etwas größerer Happen ist, werden wir mit bewährten Methoden die Flausen bald ausgetrieben haben. Jede Krise ist eine Chance, jede Niederlage ein Schritt Richtung Endsieg! Liebe Mitbürgerinnen und Steuerzahlerinnen: Bringen Sie weiterhin Ihre Opfer, damit wir fantasievoll an der Gestaltung Ihrer Zukunft arbeiten können. Und denken Sie nicht zu viel darüber nach, überlassen Sie das Denken am besten uns – denn Nachdenken bringt für ungeübte Politprofis nur Sorge und Angst mit sich, am Ende sogar Panik.“

Rückgang der Wirtschaftsleistung

„Sicherster Motorradfahrer 2023“