„Ein Jammer“, sagt mein Freund Kurt. „Waldbrände gibt’s in diesen Wochen ja in verschiedenen Ländern, aber in Kanada sind sie diesmal besonders heftig. Stand heute, am 6. Juni, sind 3 Millionen Hektar Wald vernichtet oder stehen in Flammen, das sind 30.000 km², eine Fläche wie fast ganz Belgien. Und noch immer ist kein Ende in Sicht. Als ich ein junger Mann war, habe ich oft davon geträumt, nach Kanada auszuwandern; und heute, wenige Jahre vor der Pension, spiele ich wieder mit diesem Gedanken. Aber irgendwie … also ich weiß nicht. Dieser Qualm und Gestank, der sich bis runter in die USA zieht, nach New York, Connecticut und Vermont …“
„Schon richtig“, sage ich, um das entstandene Schweigen zu überbrücken. „Ich meine, Waldbrände gab es immer und oft sind sie auch gut für die Natur. Altes, dürres Unterholz verbrennt, die starken Bäume bleiben stehen und frischer Wald wächst nach. Aber wenn solche Flächen vernichtet werden – das ist echt übel. Nicht nur für die Menschen, sondern auch für die vielen Wildtieren, deren natürlicher Lebensraum zerstört wird.“
Kurt nickt und kratzt sich den Vollbart. „Letzte Woche war ich mit ein paar Freunden beim Heurigen und wir unterhielten uns über besagte Waldbände im Kanada. Wir fragten uns, warum die Kanadier die Feuer nicht in den Griff bekommen, wo wir, als Menschheit gesehen, doch fantastische Raumfahrtabenteuer unternehmen und kolossale Summen in Rüstung und Kriege investieren. Ich war gerade dabei über den Mangel an Löschflugzeugen in Kanada zu philosophieren, als sich ein Gast am Nebentisch unaufgefordert in unser Gespräch mischte und meinte, wir hätte allesamt keine Ahnung. Dann hielt er uns einen Vortrag über die begrenzten Möglichkeiten von Löschflugzeugen, die aus technischen und organisatorischen Aspekten kein Allheilmittel wären, und belehrte uns, dass wissenschaftliche Raumfahrt und globale Sicherheitsüberlegungen nicht mit Feuerwehreinsätzen vermischt werden dürften. Er redete wie ein Politiker bei einer wichtigen Wahlveranstaltung. Wir waren alle ziemlich perplex. Ich fand als erster von uns die Sprache wieder und sagte zu dem Typen, es sei wohl richtig, dass ich kein Feuerwehrexperte sei, mir aber in der Berichterstattung voneinander unabhängiger Medien schon aufgefallen wäre, dass die Brandbekämpfer in Kanada, das immerhin ein stolzes Mitglied der G7-Staatengruppe ist, ziemlich hilflos und verzweifelt wirken und von ihren guten Freunden aus den Vereinigten Staaten, ebenfalls G7, auch nicht viel käme. Zudem könne ich mich recht gut erinnern, dass die US-geführte Militärkoalition 1991 im zweiten Golfkrieg innerhalb von 6 Wochen über 110.000 Lufteinsätze gegen den Irak geflogen habe, frei nach dem Motto: Wo ein Wille ist, da ist auch eine Bombe! Andrerseits sei mir nicht bekannt, dass die USA als selbsterklärte Führerin der freien Welt ein auch nur annährend vergleichbares Engagement bei den Waldbränden im unmittelbar benachbarten Kanada zeigen würden.“
Ich beginne zu grinsen und sage: „Das hat dem Typen, der wie ein Politiker geredet hat, aber ganz und gar nicht gefallen, richtig?“
Darauf Kurt: „Richtig. Er hat sich mächtig aufgeblasen und mir in Erinnerung gerufen, dass besagter Krieg ausschließlich zur Befreiung von Kuwait auf Basis einer UN-Resolution erfolgt sei und so weiter und so fort. Ich ließ ihn eine Weile blubbern und als ihm sein dürftiges Wissen ausging sagte ich, dass UN-Resolutionen inzwischen Schnee von gestern seien und die USA im dritten Golfkrieg bewiesen hätten, dass man auch ohne UN-Mandat in ein fremdes Land völkerrechtswidrig einfallen und dort ungestraft alles verwüsten kann. Außerdem, hielt ich fest, wolle ich nicht länger über die vielen Kriege reden, die die USA geführt hätten, weder über das Remis in Korea, das den Amerikanern noch immer nachhängt, noch über das Desaster von Vietnam oder Afghanistan. Ich wolle lediglich meine Meinung zum Ausdruck bringen, dass offenbar in der G7-Guppe Kampfjets und Bomber ungleich höher im Kurs stünden als Löschflugzeuge und sonstiges zu Waldbrandbekämpfung geeignetes Equipment. Wenn aber die Kanadier mitsamt ihren Freunden nicht weiterwissen, fuhr ich bewusst provokativ fort, sollen sie die Russen fragen, ob sie Ihnen ein paar TOS-1A Solntsepek borgen, um Feuerschneisen in die brennenden Wälder zu schießen, vielleicht hilft ja das.“ „Puh“, rufe ich unwillkürlich, das war heftig. „Was hat der Typ gesagt?“
Kurt lächelt und sagt: „Der Typ verdrehte die Augen und sah mich an, als verstünde er nicht, wovon ich spreche. Ich dachte, vielleicht weiß er einfach nicht, was ein schwerer Flammenwerfer TOS-1A ist und begann zu erklären: Das sind die hässlichen, furchterregenden russischen Raupen, die 24 thermobare Raketen abfeuern und auf einer Fläche von etlichen Fußballfeldern alles restlos vernichten. Solntsepek wird in den westlichen Medien für gewöhnlich mit Sonnenglut übersetzt, schwerer Flammenwerfer eben. Ups!“ Kurt lacht. „Der Typ wurde vor Wut ganz rot ihm Gesicht und ich dachte, gleich kriegt er einen Schreikrampf oder einen Schlaganfall. Aber eine Frau, die ich zuvor nie gesehen hatte und auf dem Tisch hinter uns saß, kam mir zu Hilfe und bereinigte die Situation. Sie sagte zu dem Typen in schroffem Kommandoton, er solle hier keine Show abziehen: Der US-Präsident sei wie all seine Vorgänger nicht Robin Hood, Österreich wäre Gott sei Dank noch immer ein neutrales Land und es stünde den Mächtigen der Welt gut an, Bertha von Suttners berühmtes Buch Die Waffen nieder zu lesen – als Inspirationsquelle sozusagen, vielleicht würde das den einen oder anderen verdunkelten Verstand erhellen.“